Über Quitting Crystal Meth

Joseph Sharp ist Autor des Selbsthilfebuches Quitting Crystal Meth. Er stammt aus Texas, ist Mitte 50 und lebt heute in Palm Springs / Kalifornien. Über viele Jahre seines Lebens hinweg hatte er sich mit Aushilfsjobs durchgeschlagen. Doch bald bestimmte seine Crystal-Abhängigkeit und eine Krebserkrankung sein Leben. Joseph hat schließlich seinen Weg gefunden, die Sucht zu überwinden. Seitdem ist es sein Anliegen, anderen Betroffenen zu helfen. Er möchte außerdem mit Missverständnissen und Vorurteilen aufräumen, die häufig gegenüber Drogenabhängigkeit bestehen. Auf diesem Weg will er ein besseres und realistischeres Verständnis in der Öffentlichkeit schaffen.

Das Übersetzungs-Projekt

Um die durch eigene Erfahrung und sorgfältige Recherche zusammengetragenen Ratschläge und Hilfsmittel vielen Menschen weltweit zur Verfügung zu stellen, fördert Joseph die Übersetzung seines Buches über ein Online-Projekt. Wir haben mit ihm Kontakt aufgenommen und können mit seiner Unterstützung das Buch Quitting Crystal Meth in einer deutschen Fassung verfügbar machen. Nicht alles lässt sich direkt auf Deutschland übertragen. Uns beeindruckt die Klarheit, Offenheit und Ehrlichkeit seines Textes. Er versucht nicht, pauschale Antworten zu finden und Dinge schön zu reden. Wir hoffen, dass wir in unserer deutschen Fassung seinen „Spirit“ erhalten konnten und vielen Betroffenen ein wertvolles Hilfsmittel bereitstellen können.

Danksagung

Wir möchten den Mitgliedern des Breaking-Meth-Portals danken, die uns ermutigt und motiviert haben, die vorliegende deutsche Fassung zu erstellen. Weiterhin bedanken wir uns bei Timothy Smith und Judith Krüger für ihr Engagement bei der Beratung für die Übersetzung und Anpassung an die deutsche Sprache.

Du kannst das schaffen!

Es ist wahr. Genau jetzt im Moment, in dem Du diese Zeilen liest, leben tausende Menschen auf der Welt, die erfolgreich ihren meist jahrelangen Crystal-Konsum beendet haben. An irgendeinem Punkt ihres Lebens standen sie ganz genau dort, wo Du jetzt stehst.

Und das ist eine Tatsache!

Wenn andere aufhören und glücklich sein können, dann kann ich das auch! Genau dieser Glaubenssatz hat mir damals geholfen, als ich die Reise in mein jetziges Leben ohne Crystal begonnen habe. Ich gehörte zu den Usern, die täglich konsumieren. Zurückblickend erschien es mir nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis ich mit einer Glaspfeife im Mund oder einer Kanüle im Arm gestorben wäre. Davon bin ich überzeugt. Wenn ein völlig hoffnungsloser und verlorener Typ – wie ich es damals war – es geschafft hat, dann kannst Du das auch.

Und nun kommt das Beste: Aufzuhören, das habe ich auf meiner Reise gelernt, heißt nicht, ein langweiliges und leeres Leben führen zu müssen. Nein, Dein Leben kann besser werden, als Du es Dir je erträumt hast. Ich hätte das damals nicht geglaubt. Als Crystal-Erfahrener, der seine Abhängigkeit überwunden hat, führe ich ein verdammt glückliches und freies Leben. Ich will ehrlich sein: Die Monate, in denen ich meinen Abschied von Crystal geplant hatte, waren hart. Ich war überzeugt, selbst an den einfachsten und normalsten Dingen nie wieder Spaß haben zu können ohne Crystal. Mein Leben war sehr dunkel und leer zu dieser Zeit. Mein Innerstes schien mir wie ausgehöhlt zu sein. Das Crystal-High war als Versuchung scheinbar nicht auszulöschen in meinem Hirn. Ich habe damals geglaubt, dass Meth seine Macht über mich nicht und niemals aufgeben würde. Es war wie ein Satz in meinem Kopf, wie eine unterschwellige Drohung, die lautete: Es ist so viel kaputtgegangen – einfach zu viel, um jemals wieder an ein drogenfreies Leben denken zu können.

Quitting Crystal Meth habe ich als Abhängiger geschrieben, der seine Sucht überwunden hat. Und zwar für andere Abhängige, die bereit sind aufzuhören. Dafür habe ich hilfreiche Informationen und nützliche Tipps und Tricks zusammengetragen, die Dich unterstützen werden. Aufhören ist wirklich so etwas wie eine Reise. Es ist mir wichtig, das zu sagen und immer wieder zu wiederholen. Das Ziel, das Du erreichen kannst, überschreitet alles, was Du dir heute vorstellst. Glaube mir, aber glaube vor allem den tausenden von ehemaligen Meth-Heads, die mein Buch in der englischen Fassung gelesen haben und erfolgreich ihren Crystal-Konsum hinter sich gelassen haben: Es gibt nämlich eine Lösung!

Du liest dies, weil Dir jemand wichtig ist?

Vielleicht liest Du diese Zeilen gar nicht, weil Du selbst konsumierst, sondern weil Du jemandem helfen willst, sich von seiner Sucht zu befreien? Für Angehörige, Freundinnen und Freunde von Crystal-Usern ist es wichtig, dass ich ein paar Dinge vorab erkläre: Deine Freundin oder Dein Angehöriger ist abhängig aufgrund von körperlichen und biochemischen Vorgängen im Gehirn. Abhängigkeit ist eine chronische Erkrankung, ähnlich wie Asthma oder zu hoher Blutdruck.

Der Unterschied zwischen Crystal-Abhängigkeit und vielen anderen chronischen Krankheiten besteht darin, dass die krankhaften Prozesse nicht in körperlichen Organen lokalisiert sind, sondern in bestimmten Hirnregionen. Deshalb beeinflusst die Crystal-Abhängigkeit das Gefühlsleben und das Verhalten. Viele Menschen kennen oder verstehen diese wissenschaftlich belegten Erkenntnisse bis heute nicht. Sie glauben deshalb, dass Abhängigkeit womöglich selbstverschuldet sei oder dass die Betroffenen keine moralischen Werte haben oder eine Charakterschwäche aufweisen. Die Wahrheit ist jedoch: Sucht ist ein biologischer Prozess. Dies sollten möglichst viele Menschen verstehen. Man würde ja einen Menschen nicht für sein Asthma oder für andere offensichtlich körperlichen Erkrankungen verantwortlich machen. Es zeugt also von Unwissen, wenn man eine Suchtkranke oder einen Suchtkranken verurteilt und ihr oder ihm die Schuld für die Abhängigkeitserkrankung gibt.

Wenn Du als Freund oder Angehörige einen nahestehenden betroffenen Menschen auf diesen Text hinweist, dann beachte, dass Folgendes für alle Beteiligten klar sein muss: Für eine Sucht soll und braucht sich keiner zu schämen. Es ist eine körperliche Erkrankung und es bedeutet nicht, dass Dein Freund oder Deine Angehörige einen schwachen Charakter hat – im Gegenteil! Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht: Abhängige gehören zu den stärksten Menschen, die ich kennenlernen durfte. Wenn sie es schaffen, ihre Abhängigkeit zu überwinden, gelingt es ihnen auch, ihren außergewöhnlichen und starken Charakter zu offenbaren. Du wirst sehen!

Aber als Freund oder Angehöriger musst Du eine Sache verstehen. Nur der Betroffene selbst weiß, wann für ihn der richtige Zeitpunkt zum Aufhören ist. Du kannst diese Entscheidung nicht für ihn oder sie treffen. Deine Bemühung muss also darin bestehen, den Betroffenen ohne Druck und ohne Vorhaltungen auf diesen Text hinzuweisen. So und nicht anders zeigst Du ihm, dass er Dir wichtig ist.

Kapitel 1: Mach Dich bereit

Irgendwann denkt jede und jeder Crystal-Abhängige: „Ich will aufhören – Ich kann nicht mehr!“ Ab dem Moment, in dem Dir Deine Machtlosigkeit über die Droge klar wird, fängst Du an, ehrlich zu Dir selbst zu sein. Das ist sehr gut so!

Als nächstes denken viele Crystal-Abhängige: „Ich brauche Hilfe“.

Der Schlüssel zum Aufhören liegt darin, sich Unterstützung und Hilfe zu holen. Die Fähigkeit, nach Hilfe zu suchen und zu fragen, müssen alle erlernen, die erfolgreich aufhören wollen. Was ist mit „Hilfe“ gemeint? Es kann ein ehemaliger Abhängiger sein, der Dich unterstützt. Es kann auch eine Suchtbehandlung sein. Oder es kann dieser Text sein. Am Besten all diese drei Sachen zusammen! Du musst auf jedem Fall lernen, Dir Unterstützung zu suchen.

Du kannst aufhören. Hier und jetzt – los geht’s!

„Ich breche in Tränen aus, wenn ich in den Spiegel schaue. Was ist aus meinem Leben geworden? Es ist einfach eine Katastrophe.“

(Brenda, seit 3 Tagen clean)

„Der Anfang ist der reinste Horror, aber es wird besser. Es ist wie ein Sprung in eiskaltes Wasser. Du musst es einfach machen. Vielleicht jeden Tag aufs Neue. Tue es einfach.“

(Joey, seit 9 Monaten clean)

Finde den richtigen Moment

Du hast Dich also dafür entschieden aufzuhören. Zuerst musst Du verstehen, dass es keinen allgemeingültigen Zeitplan für Deinen Heilungsprozess gibt. Wie es bei Dir persönlich verlaufen wird, hängt beispielsweise davon ab, wie häufig und wie lange Du konsumiert hast und welche psychischen und körperlichen Begleitumstände bei Dir eine Rolle spielen. Du wirst Dein eigenes Tempo finden.

Dr. Richard Rawson ist ein weltweit anerkannter Suchtforscher an der University of California in Los Angeles (UCLA) und hat bereits vor 20 Jahren ein Fünf-Phasen-Modell für den Heilungsprozess bei Kokainabhängigkeit entwickelt. Dieses Modell ist immer noch aktuell und wir können es für unser Vorhaben nutzen. Es beschreibt sehr präzise die Erfahrungen, die ich bei meinem eigenen Heilungsprozess von der Crystal-Abhängigkeit gemacht habe. Auch viele der Betroffenen, die ich für mein Buch interviewt habe, konnten das bestätigen. Sein Handbuch für Crystal-Betroffene in der Suchttherapie nennt sich „Matrix-Manual“.

Die Phasen, die Du durchlaufen wirst, sind mit körperlichen und emotionalen Veränderungen verbunden, die man erlebt, während sich der Körper vom Substanzmissbrauch erholt. Die erste Phase ist – ganz klar – der Entzug. Nicht ganz so klar hingegen ist, wie lange dieser Entzug tatsächlich dauert. Für die Entzugsphase nimmt man an, dass sie bei Crystal vom „Tag 0“ bis zum „Tag 15“ andauert, also etwa zwei Wochen. Wichtig ist, dass es sich hierbei um eine grobe Schätzung oder einen Mittelwert handelt. Die ganz akute Entzugsphase kann manchmal nur drei Tage andauern oder sich über einen ganzen Monat oder länger hinziehen.

Hinzu kommt, dass Du die Auswirkungen der Entzugsphase und der darauffolgenden Phase vielleicht gleichzeitig erlebst. Diese Phasen können sich überschneiden. Das macht die Sache ein wenig komplizierter. Solche Übergangsperioden treten nämlich gar nicht so selten auf.

Wie gesagt: Wann genau bestimmte Dinge bei Dir auftreten können, lässt sich nur ungefähr vorhersagen. Das Phasen-Modell ist jedoch sehr hilfreich, weil es einige Prozesse gut verdeutlicht, die die meisten von uns durchlaufen werden. Dein genauer Weg ist dann so individuell wie Du selbst.

Muss ich erst ganz unten angekommen sein?

Die kurze Antwort darauf ist: Nein! Studien zeigen, dass Abhängige, die beispielsweise wegen gerichtlicher Auflagen eine Suchttherapie machen, mit etwa gleicher Wahrscheinlichkeit clean werden, wie die, die tatsächlich ganz unten angekommen sind und freiwillig Hilfe suchen.

Doch was bedeutet eigentlich „ganz unten ankommen“? Versuchen wir es näher zu definieren. Üblicherweise kommt man „ganz unten an“, wenn viele äußere Umstände so zusammenkommen, dass es „Klick“ im Kopf macht und man denkt: „Es reicht, nicht weiter!“. Bei den Anonymen Alkoholikern hört man im Amerikanischen häufig den Ausdruck "you suddenly become sick and tired of being sick and tired" (frei übersetzt: Irgendwann bist Du es leid zu leiden). In der Realität kommen Menschen aber oft ganz unten an, ohne dass es plötzlich „Klick“ macht.

Als ich zum ersten Mal ganz unten angekommen war, wurde ich wegen eines Blutgerinnsels in meinem Bein ins Krankenhaus eingewiesen. Dies war Folge meines intravenösen Crystal-Konsums. Solch ein Blutgerinnsel kann zum Herzen oder zur Lunge wandern. Da hört doch irgendwo der Spaß auf. Jetzt würde man denken, es müsste bei mir „Klick“ gemacht haben. Ich war fünf Tage im Krankenhaus und fest entschlossen, nach meinem Krankenhausaufenthalt clean zu bleiben. Ich hatte mir vorgenommen, ein Abstinenzprogramm zu beginnen und an den wöchentlichen Treffen von mehreren anonymen Selbsthilfegruppen für Crystal-Betroffene (Crystal Meth Anonymous = CMA) in meiner Gegend teilzunehmen. Das Krankenhaus habe ich mit einem Gehstock verlassen und mit einer Wade, die so groß war wie eine kleine Wassermelone.

Ich dachte, dass die körperlichen Beeinträchtigungen ausreichen würden, um mich zum Aufhören zu bewegen. Immer wenn ich das Verlangen hatte zu konsumieren, müsste ich ja eigentlich nur meine Wade anschauen, um mich daran zu erinnern, welche schlimmen Auswirkungen meine Sucht hat. Doch nur zehn Tage später hatte ich wieder eine Meth-Pfeife im Mund. Denn die Wahrheit ist: Schwerwiegende gesundheitliche Folgen zu erleben, reicht alleine meist nicht aus, um eine Sucht langfristig zu überwinden. Mein Blutgerinnsel war trotzdem der Anfang vom Ende meiner Sucht. Drei Monate hat es gedauert, mit wechselnden Phasen von Konsum und Abstinenz und mit vielen weiteren kleinen Abstürzen, bis ich schließlich clean war.

Ich kenne eine Frau, die erst aufgehört hat, als es nur noch eine Frage der Zeit war, bis ihre Familie von ihrem Meth-Konsum erfahren hätte. Sie hatte eine Wohnung, einen Job und konnte sich gerade so über Wasser halten. Ihre gesundheitlichen Probleme häuften sich allerdings schon seit längerem. Ihr war bewusst, dass jeder weitere Rausch dazu hätte führen können, dass ihre Familie und ihre Freunde von ihrem Konsum erfahren.

Mir erzählte sie später, dass sie den Verlust der Wohnung und des Jobs in Kauf genommen hätte. Aber ihr älterer Bruder war bereits am Meth-Konsum gestorben. Sie wollte es ihren Eltern einfach nicht antun, dass sie nun auch noch ihre Tochter verlieren - wieder an Meth. Letztlich hat genau dies dazu geführt, dass sie sich Hilfe gesucht hat und endgültig clean geworden ist. Allerdings wartete sie bis zum letzten Augenblick und führte dann eine ambulante statt einer stationären Reha durch, damit sie es vor ihren Eltern verheimlichen konnte. Die Reha war erfolgreich und sie ist bis heute clean.

Die Situation dieser Frau nennt man in der Selbsthilfe ein „hohes Tief“. Damit ist gemeint, dass sie noch nicht so tief gefallen ist, dass sie mit einer akuten Komplikation in ein Krankenhaus eingewiesen werden musste. Man könnte sogar sagen, dass sie überhaupt noch nicht ganz unten angekommen war. Für jeden Betroffenen kann es also ein anderer innerer oder äußerer Auslöser sein, der letztlich den Anfang für den Ausstieg aus der Sucht darstellt.

Ich kenne einen ehemaligen Abhängigen, dessen Abgrund erreicht war, als er nach Tagen realisierte, dass er in seiner Wohnung mit nur noch einer Matratze und einem Laptop hauste und sich seit mehreren Tagen aus der nahegelegenen Mülltonne einer Fast-Food-Kette ernährte. Auch er hat es geschafft und hat die Sucht überwunden.

Egal also, ob und wie Du Deinen individuellen Tiefpunkt erreichst, oder ob Du wegen eines Gerichtsbeschlusses oder vielleicht für einen anderen Menschen aufhören willst: Das Wichtigste ist, dass Du Dich irgendwann bewusst dafür entscheidest, Deine Abhängigkeit zu beenden, Dich auf den Weg der Heilung zu begeben und gesund zu werden.

Familie einbeziehen - Aufhören für die Familie geht auch

Studien zeigen, dass es enorm hilft und die Erfolgsaussichten verbessert, wenn die Familie oder andere nahestehende Menschen in Deinen Heilungsprozess einbezogen werden. In vielen Fällen hören Menschen auf zu konsumieren, weil jemand, der ihnen nahesteht, sie dazu motiviert. Nehmen wir das Beispiel von Maria: Sie ist Mutter von zwei Kindern und hat fünf Jahre konsumiert. Nach einer ersten Behandlung und einer darauffolgenden kurzen Zeit in der Reha war es schließlich nicht die Sorge um sich selbst, sondern die Liebe zu ihrem Mann und zu ihren Kindern, die sie motiviert hatte, das schwere erste konsumfreie Jahr durchzustehen.

Clean werden für jemand anderen – für Deine Eltern, Deine Partnerin oder Deinen Partner, Deine Kinder oder eine andere geliebte Person kann ein guter Grund sein, besonders am Anfang. Unterstützung und Motivation durch die Familie ist sehr hilfreich. Prüfe für Dich, ob diese Möglichkeit besteht, denn solch eine Unterstützung schafft eine enorme Stabilität für Deinen Heilungsprozess. Es ist okay und sogar ein großer Gewinn, wenn bei Dir die Liebe zu nahestehenden Menschen die wichtigste Motivation für Deine Heilung ist. Mit der Zeit wirst Du merken oder Dir eingestehen, dass Du auch für Dich selbst clean bleiben willst.

Entgiften - alleine oder mit ärztlicher Hilfe?

Ich würde immer dazu raten, unter medizinischer Aufsicht zu entgiften. Hierbei ist es sinnvoll, sich eine Ärztin oder einen Arzt zu suchen, der sich mit dem Crystal-Entzug auskennt. Es ist jedoch aus unterschiedlichen Gründen nicht für alle von uns eine Option, stationär zu entgiften. Deshalb schauen wir uns mal an, wie ein Entzug auf eigene Faust und in den eigenen vier Wänden gemacht werden kann.

Aus medizinischer Sicht birgt der zu Hause durchgeführte Crystal-Entzug nicht solche gravierenden Gefahren, wie das beispielsweise bei Alkohol der Fall sein kann. Ein Crystal-Entzug wird Dich nicht umbringen. Die größte Gefahr sind die auftretenden Selbstmordgedanken, dazu komme ich gleich noch mal. Lebensbedrohliche körperliche Zustände wie etwa ein Delirium oder Krampfanfälle sind bei einem reinen Crystal-Entzug normalerweise nicht zu erwarten.

Die schlimmsten Entzugssymptome liegen, neben körperlichen Erschöpfungszuständen, vor allem im emotionalen Bereich. Du wirst eine tiefe Freudlosigkeit und Niedergeschlagenheit erleben. Hier kann es dann tatsächlich lebensgefährlich werden, nämlich wenn sich die negativen Stimmungen hin zu Selbstmordgedanken entwickeln. Wenn Du so etwas bemerkst, solltest Du nicht zögern und sofort medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Wenn keine Ärztin oder kein Arzt unmittelbar zur Verfügung steht, dann rufe den Rettungsdienst an, in Deutschland ist das die Telefonnummer 112.

Ich selbst habe meinen Entzug zu Hause gemacht – so wie etwa die Hälfte der Konsumentinnen und Konsumenten, die ich persönlich kenne. Eigentlich haben wir wochenlang nur geschlafen und sind nur aufgestanden, um etwas Müsli runter zu würgen, um Gatorade für den Flüssigkeitshaushalt zu trinken und um das Bad zu benutzen. Falls Du gar keinen Appetit verspürst, solltest Du in dieser Zeit am besten auf Protein- bzw. Aufbaudrinks zurückgreifen, die gibt es im Supermarkt, in Fitness-Läden und in Drogerien. Meistens kommt der Appetit schnell und mit vollem Schwung zurück. Das ist super. Denn Du solltest essen, essen und essen.

Wenn Du lieber zu Hause entziehen willst, empfehle ich Dir eine ärztliche Beratung, besonders dann, wenn Du neben Crystal auch massiv Alkohol trinkst, kiffst oder Beruhigungsmittel bzw. Opiate konsumierst. Von den genannten Drogen und von Crystal gleichzeitig einen Entzug durchzuführen, kann lebensbedrohliche Folgen haben, wie etwa einen Schlaganfall oder Herzversagen. Ich würde unbedingt empfehlen, Dir eine suchtmedizinische Schwerpunktpraxis in Deiner Nähe zu suchen und Dich dort entsprechend beraten zu lassen.

Ist ein stationärer Entzug und eine Reha sinnvoll?

Ja, auf jeden Fall! Wenn Du die Möglichkeit hast, einen Entzug (stationär) und anschliessend eine Reha (stationär oder ambulant) machen zu können, dann mache es auch! Ich nenne Dir mal vier gute Gründe:

Sofortiger Abstand von Deinem Konsumumfeld: In den ersten Tagen Deiner Abstinenz ist es wichtig, dass Du Deinem Konsumumfeld fernbleibst. Das betrifft Deine konsumierenden Freundinnen und Freunde ebenso wie den Zugang zu Dealern, aber auch alle äußeren Umstände, die Dich an den Konsum erinnern und Dein Verlangen wecken.

Medizinische Überwachung während des Entzugs: Der Crystal-Entzug ist leichter, wenn Du ihn im medizinischen Umfeld machst. Je nach Bedarf können Dir dort beispielsweise Medikamente verordnet werden, um die Entzugssymptome etwas abzumildern.

Beratung und Unterstützung durch unterschiedliche Berufsgruppen in der Einrichtung: Im stationären Entzug und in der Reha unterstützt Dich medizinisches, pädagogisches und therapeutisches Personal (Psychotherapeuten, Suchtmedizinerinnen, Sozialberater etc.). Du wirst bedarfsgerecht begleitet in den ersten Phasen Deines Heilungsprozesses. Und Du wirst auf den Wiedereinstieg in ein drogenfreies Leben nach Deinem Aufenthalt vorbereitet. Unterstützung jeder Art - und insbesondere auch in Form von Gruppensitzungen - ist für die meisten Abhängigen wichtig.

Erlernen neuer Fähigkeiten und Kompetenzen, die Du für ein cleanes Leben brauchst: Die meisten Hinweise und Strategien, die Du in diesem Text finden wirst, werden in einer Reha intensiv behandelt, erklärt und eingeübt. Das braucht Zeit, um diese Dinge zu verinnerlichen. Eine Reha wird Dir ein starkes Fundament für Dein zukünftiges cleanes Leben geben.

Man muss jedoch wissen, dass die stationäre Reha auch ein Problem in sich birgt: Wenn Du raus kommst, wirst Du in aller Regel wieder in Deinem alten Umfeld landen. Du wirst wieder mit all den Problemen und Versuchungen konfrontiert sein, genau wie vorher. Zwar wird man in der Reha ganz intensiv auf die "Zeit danach" und den Umgang mit riskanten Situationen und Krisen aller Art vorbereitet. Aber in der Realität ist es dann leider doch wieder etwas ganz anderes und viel schwieriger als erwartet. Du wirst Dich wieder und wieder anstrengen und all die Dinge trotzdem beachten müssen, die Du hier noch lesen wirst. Was ich sagen will, ist: Die Reha und gegebenenfalls der stationäre Entzug vorher sind keine Allheilmittel. Verstehe sie eher als die ersten Stationen, die Du auf dem Weg Deiner Heilung bewusst ansteuerst. Ein qualifizierter Entzug und eine Reha sind ganz wunderbare erste Stationen.

Nochmal: Schätze Dich glücklich, wenn Du die Möglichkeit hast, eine Reha machen zu können. In den USA gibt es einige Krankenversicherungen, die beispielsweise nur drei bis fünf Tage stationären Entzug bezahlen und danach bestenfalls eine ambulante Weiterbehandlung. Nach meiner Überzeugung ist eine stationäre Reha bei einer Crystal-Abhängigkeit besser geeignet als eine ambulante Reha. Ich würde Dir ans Herz legen, eine stationäre Therapie anzunehmen, wenn sie Dir angeboten und bezahlt wird. Eine ambulante Reha wäre ebenfalls eine Option. Als Vorteil könnte man hier sehen, dass man sofort und stetig mit der Herausforderung des Clean-Bleibens konfrontiert ist. Dennoch: Wenn man die Vor- und Nachteile gegeneinander abwiegt, würde ich die stationäre Reha bevorzugen.

Wenn es möglich ist: Versuche, eine Reha außerhalb Deiner Stadt zu finden. Wieso? Je weiter Du von Deinem alten Konsumumfeld entfernt bist, desto besser. Liegt die Reha woanders, dann kennst Du dort keine Dealer und keine noch regelmäßig Konsumierenden. Der neue Ort hat nur einen Zweck und eine Bedeutung für Dich – nämlich Dir Unterstützung für Deinen Heilungsprozess zu bieten.

Ich hatte davon geschrieben, dass man nach der Reha gleich wieder in seinem alten Umfeld landet. Lässt sich das - zumindest für das besonders schwierige erste Jahr - vermeiden, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Du clean bleibst. In den USA gibt es in den meisten Städten sogenannte „Sober Living Houses“(„Sober“ bedeutet hier clean oder drogenfrei). Das sind Wohngemeinschaften oder Wohneinrichtungen mit unterschiedlichen Konzepten, Zielgruppen und Hausregeln. Versuche, in Deinem Land drogenfreie Wohnangebote oder ähnliches zu finden. Das kann eine große Hilfe für Dich sein.

Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die es ohne Reha geschafft haben. Ich selbst gehöre auch dazu. Wenn eine stationäre Therapie für Dich keine Option ist, dann ist das eben so. Du kannst es trotzdem schaffen, wenn Du den Entschluss gefasst hast, clean zu werden.

Muss ich weg ziehen aus meiner alten Heimat?

Einen „Geographical“ machen, sagen wir in den USA umgangssprachlich und meinen damit einen Ortswechsel, möglichst weit weg von der alten Heimat und dem Konsumumfeld. Viele Bekannte von mir haben dies gemacht, weil sie zu der Erkenntnis gekommen sind, dass sie in ihrer alten Heimat bereits alles verloren hatten, was ihnen wichtig war und was eine solide Basis für ein cleanes Leben nach der Reha hätte sein können. Andererseits gibt es auch viele Betroffene, für die es eher umgekehrt ist: Für sie ist es keine Option, ihre Familien und ihre Jobs hinter sich zu lassen.

Ich selbst bin mittlerweile nach Palm Springs umgezogen. Palm Springs ist bekannt dafür, dass viele Ex-User hier leben. Es existiert eine richtige "Clean"-Kultur hier, mit vielen motivierten ehemaligen Konsumierenden und mit Selbsthilfegruppen für jeden Geschmack. Das sind natürlich optimale Voraussetzungen.

Doch letztlich möchte ich folgendes sagen: Mit dem Ortswechsel ist es genauso wie mit der Reha. Es sind mögliche wertvolle Stationen auf Deinem ganz persönlichen Weg des Heilungsprozesses. Doch auch der Ortswechsel ist kein Allheilmittel und er ist auch keine unbedingt notwendige Voraussetzung. Ich kenne viele Leute, die es nach einem Umzug geschafft haben, aber auch ungefähr genauso viele, die am neuen Wohnort wieder rückfällig geworden sind.

Ein Ortswechsel ist also wie gesagt eine gute Sache, wenn dies für Dich möglich ist. Du musst aber bedenken, dass auch ein Ortswechsel alleine kein Allheilmittel ist. Seien wir ehrlich: Wer von uns kann nicht mit dem Internet umgehen, wer von uns kann nicht an fast jedem Ort der Welt schnell die richtigen Leute ausfindig machen, über die man so ziemlich alles besorgen kann, was man haben will. Und letztlich gilt: Egal wo Du hin gehst, Du wirst immer Du selbst bleiben. Auch wenn Du einen Ort mit absolut günstigen Voraussetzungen findest, Deine Abhängigkeit und andere mentale Baustellen in Deinem Kopf wirst Du mitnehmen. Und es wird irgendwann wieder zum Vorschein kommen, bis Du all das bearbeitet und auch in Deinem Kopf hinter Dir gelassen hast.

Meine abschließende persönliche Meinung dazu: Ein Umzug in eine weit entfernte Gegend kann hilfreich sein, ist aber nicht unbedingt notwendig. Ich schätze, dass die meisten ehemaligen Abhängigen, die ich kenne, es ohne einen solchen Umzug geschafft haben.

Der letzte Rausch

Unendlich oft haben sich die meisten von uns spontan gesagt: Heute ist das letzte Mal. Aber so klappt das natürlich nicht, das haben wir gelernt. Warum? Weil wir zu diesen Zeitpunkten innerlich nicht wirklich bereit und überzeugt waren. Bei mir war es einmal so, dass ich mir vorgenommen hatte aufzuhören und mir einen festen Termin ausgedacht hatte - nämlich aus Anlass eines geplanten stationären Entzugs. Genau zwei Wochen vorher wollte ich dann zum letzten Mal eine Konsumphase durchziehen, die in meinem Fall normalerweise fünf Tage dauert, gefolgt von 2 Tagen schlafen. Ich würde dann stolz als schon cleaner Musterpatient einmarschieren. Ihr dürft an dieser Stelle gern lachen.

Ich habe also meinen Fünf-Tage-Rausch begonnen und mich danach tatsächlich schlafen gelegt. Als ich aufwachte, stellte ich fest, dass ich ja noch eine ganze Woche Zeit hatte. Natürlich habe ich diese Woche nicht genutzt um klar zu werden. Was habe ich gemacht? Ich habe bis zum geplanten Zeitpunkt gefeiert und konsumiert. Und zur Therapie bin ich dann schließlich gar nicht gegangen. In meinem Fall war das dann übrigens tatsächlich der letzte lange Rausch - obwohl der Plan nicht wie ursprünglich gedacht abgelaufen war. Aber während dieses Rausches wurde mir plötzlich klar: Das war’s für mich, jetzt ist der Punkt der Entscheidung gekommen. Wenn ich jetzt nicht aufhöre, sterbe ich als hoffnungsloser Drogenjunkie.

Ich will nicht sagen, dass es nichts bringt, sich immer mal wieder zu sagen, nun ist Schluss mit dem Konsum, auch wenn man es vielleicht noch nicht hundertprozentig spürt. Das machen wir Abhängigen halt. Es ist eben nicht eine rationale Entscheidung oder gar ein einfacher Schritt, aufzuhören. Nach meiner Erfahrung hat es nichts gebracht, vor der geplanten Therapie selbst entgiften zu wollen. Meine Empfehlung für Dich: Wenn Du einen stationären Entzug machen willst, dann mache einfach einen festen Termin aus, das ist wichtig - und mach Dir keinen weiteren Druck. Hauptsache, Du erscheinst dann - in welchem Zustand auch immer - zum Aufnahmetermin.

Wenn Du selbst entgiften willst - ohne stationären Entzug - habe ich eine ähnliche Empfehlung für Dich. Setze Dir kein festes "Clean"-Datum. Du beginnst einfach Deine letzte Konsumphase ... und am letzten Tag, wenn Du Dich erschöpft und fertig fühlst und keine Drogen mehr im Haus sind, beginnt es für Dich: Vernichte Dein Konsum-Zubehör. Wenn Du dabei noch irgendwelche Reste findest, wirf sie weg, spül sie die Toilette hinunter. Schau bei dieser Gelegenheit auch gleich noch mal in den Schubladen nach und überall dort, wo noch etwas rumliegen könnte. Damit ist Dein erster Schritt getan. Leg Dich nun schlafen und wenn Du aufwachst, kannst Du Deinen Heilungsprozess zu Hause beginnen.

Abschliessend: Natürlich kann man denken "Warum so ein Spektakel um den letzten Rausch?" Kann man nicht rückblickend nach einigen konsumfreien Tagen sagen, der letzte Rausch war längst gewesen? Ja, das kann man, das hört sich auch vernünftig an. Aber das menschliche Wesen funktioniert nicht nur nach Prinzipien der Vernunft. Deshalb kann das Konzept des "letzten Rausches" oder der letzten Konsumphase - wie oben vorgeschlagen - für Dich ein wichtiges und gutes Ritual darstellen.

Konsum-Zubehör entsorgen

Dein geplanter letzter Rausch neigt sich jetzt also dem Ende zu - wenn Du bis hier wie beschrieben vorgegangen bist. Du bist vielleicht schon mehrere Tage wach, fühlst Dich erschöpft und müde. Deine Crystal-Vorräte dürften jetzt auch aufgebraucht sein. Doch noch ist es nicht Zeit, um auszuruhen ... .

Jetzt geht es um das Entsorgen der Konsum-Utensilien und um noch einige weitere Maßnahmen. Schauen wir uns das Thema mal genau an. Vielleicht ahnst Du schon, dass es gar nicht so simpel ist, wie es sich anhört. Was nun vor Dir liegt, ist die Aufgabe, wirklich sorgfältig alles zu entsorgen, bevor Du Dich schlafen legst - Tütchen mit kleinsten Resten, benutzte Zieh-Utensilien, Unterlagen zum Zerkleinern, Pfeifen, Alufolie, Spritzen und Kanülen! Wenn Du damit losgelegt hast und irgendwann zum Ende kommst, bist Du fein raus! Wirf alles weg, was mit dem Konsum zu tun hat... So sollte es im Idealfall ablaufen!

Was gehört eigentlich alles zum Konsum-Zubehör? Im engeren Sinn sind damit ja die Hilfsmittel und Gegenstände gemeint, die Du beim Konsum einsetzt. Ich empfehle Dir aber dringend, Dich auch von allen Dingen Deines Konsum-Rituals zu trennen, die für Dich irgendwie immer dazu gehörten. Das kann das coole Gasherd-Feuerzeug sein, welches Du immer beim Rauchen verwendet hast, die CD-Hülle mit „Konsumgeschichte“, der Spiegel, das Döschen oder die Bücherhülle. Ich kann hier nicht alles erwähnen, was Dich irgendwie an den Konsum erinnern könnte. Deshalb ein einfacher und klarer Merksatz: Im Zweifel wegschmeißen. Je weniger Dinge Du zu Hause rumstehen hast, die Dich direkt oder auch nur indirekt an Deine Konsumzeit erinnern, desto besser. Deshalb nimm Dir wirklich Zeit für diesen Schritt.

Ich glaube, ich muss an dieser Stelle nicht erwähnen, dass das Zeug natürlich weg und vernichtet werden muss. Wer hat nicht schon mal eine Mülltüte wieder aus dem Container gezogen? Vom Mülleimer in der Küche brauchen wir gar nicht erst zu reden. Es macht wirklich Sinn, genau zu überlegen, ob das Zeug wirklich nicht mehr zurückzuholen ist, wenn Du aufwachst. In meiner Gegend in den USA weiß ich genau, wann der Müllcontainer geleert wird. Auch Du musst Dir über solche Dinge Gedanken machen. Ein wichtiger Hinweis noch: Denke auch daran, dass man Nadeln am besten in einer leeren und verschlossenen Plastikflasche entsorgt und dass Du Substanzreste nicht irgendwo hin wirfst, wo diese von Kindern gefunden werden können. Es ist auch wichtig, Schubladen und Ablagen mit Glasreiniger oder Ähnlichem zu putzen. Das solltest Du auch mit Bankkarten tun, an denen Reste anhaften könnten. Denke auch an Verstecke wie Handschuhfächer und verborgene Fächer in Rucksäcken, Jacken, Hosen, Kosmetiktaschen und Geldbörsen, sonst kommst Du später auf den Gedanken, nach den letzten kleinsten Resten zu suchen. Oder Du findest sogar noch eine größere vergessene Substanzmenge. Wenn Du bis hierhin aufmerksam gelesen hast, wird Dich mein nächster Rat nicht verwundern: Versuche, dass jemand Dich hierbei unterstützt... der mit Dir zusammen an diesem Tag die Wohnung durchgeht und Dir hilft, alles zu finden und zu entsorgen.

Für diejenigen, die erst nach dem Ausschlafen beginnen, die Entsorgung durchzuführen: Das ist okay! Du wirst es trotzdem schaffen können. Aber tue es gleich, so schnell wie möglich, sofort, vor allem anderen.

Muss ich auf Alkohol und Cannabis verzichten?

Fast jede und jeder ehemalige Crystal-Konsumierende ist irgendwann an einem Punkt gekommen, wo er den Cannabis- und Alkoholkonsum aufgeben musste und aufgegeben hat – irgendwann. Das hört sich jetzt hart an. Beachte bitte das "Irgendwann". Es ist nicht unbedingt erfoderlich, dass Du wirklich gleichzeitig auch mit Kiffen und Alkohol aufhörst. In Kalifornien - wo man Cannabis ja auch verschrieben bekommt - vertreten einige die Auffassung, man kann beispielsweise das Kiffen beibehalten, solange man eben von Crystal komplett abstinent bleibt. Wir haben uns weiter oben schon mit der Frage nach dem Entzug unter ärztlicher Aufsicht beschäftigt und ich wiederhole hier noch mal, dass der gleichzeitige Entzug von mehreren Substanzen wirklich unter ärztlicher Überwachung passieren sollte. Doch die Frage war ja grundsätzlich, ob zum Heilungsprozess bei der Crystal-Abhängigkeit auch ein Verzicht auf Cannabis und Alkohol sinnvoll ist. Meine Antwort in der Theorie lautet: Ja! Und ich empfehle Dir, auch auf alle anderen Drogen zu verzichten.

Die meisten Userinnen und User wählen den scheinbar einfacheren aber letztlich schwierigeren Weg und konsumieren weiterhin Cannabis und Alkohol. Und genau das war auch der Weg, den ich selbst eingeschlagen hatte. Ich hatte zu Zeiten des Crystal-Konsums immer gekifft, um besser schlafen zu können, vor allem aber, weil es mich emotional beim Runterkommen stabilisiert hatte. Mein Fernziel beim Crystal-Entzug war es schon, irgendwann auf alle Substanzen verzichten zu können. Aber ich habe geglaubt, ich bräuchte Marijuana als „Emotionales Kissen“, um den Crystal-Entzug zu schaffen. Nach mehreren Monaten ohne Crystal-Konsum habe ich gemerkt, dass ich ein massives Problem mit dem Kiffen hatte und habe den Cannabis-Konsum auch eingestellt. Mein eigener Weg war also, am Anfang noch weiter zu kiffen und dieses Problem einige Zeit später erfolgreich anzugehen.

Warum ist es für die meisten der eigentlich schwierigere Weg, weiterhin zu kiffen? Die einfache Antwort: Das größte Problem mit dem Kiffen und Trinken nach dem Crystal-Entzug besteht darin, dass Du unter Einfluss von Cannabis und Alkohol eine geringere Aufmerksamkeit, Abwehr und Wachsamkeit hast. Viele Rückfälle beim Crystal-Entzug passieren deshalb, weil man bekifft oder unter Alkohol-Einfluss schneller wieder der Versuchung nachgibt, Crystal zu konsumieren.

Kurz zusammengefasst: Wenn es für Dich möglich ist, empfehle ich, den Konsum von allen Drogen gleichzeitig einzustellen und dies unbedingt unter ärztlicher Aufsicht.

Ist es auch Zeit, mit Zigaretten aufzuhören?

Nach meiner Meinung ist ein Crystal-Entzug eine gute Gelegenheit, auch mit dem Zigarettenrauchen aufzuhören. Das empfehle ich nicht nur deshalb, weil Rauchen einfach ungesund ist, sondern es hat einen konkreten Grund: Nikotin und andere Stoffe im Tabak und in Zigaretten aktivieren genau diejenigen Strukturen im Gehirn, die für eine Abhängigkeit ausschlaggebend sind. Manche Konsumentinnen und Konsumenten beschreiben, dass sie ein stärkeres High von Crystal erleben, wenn Sie dabei rauchen. Das ist biologisch plausibel und kann eine Ursache sein, dass bei zigarettenrauchenden Betroffenen nach dem Entzug ein stärkeres Verlangen nach Crystal besteht. Man kann sich das auch so vorstellen: Bei Menschen, die während ihres Konsums viel geraucht haben, hat das Gehirn gelernt, dass zum Nikotin-High auch das Crystal-High dazu gehört. Somit ist ein Verlangen nach Crystal nach dem Rauchen einer Zigarette antrainiert. Das Gehirn erwartet, dass nun ein Crystal-High folgt und produziert ein Gefühl des Verlangens.

Wenn Du Deinen Weg zur Heilung ungefähr so durchführst, wie ich es beschreibe, wirst Du sowieso erst mal eine längere Zeit schlafen. Ich würde sogar sagen, Du verschläfst die relativ kurze Zeit, in der der Körper einen Tabakentzug wahrnimmt. Vielleicht ist das ein guter Anreiz, gleich mit dem Rauchen aufzuhören. Unter uns gesagt ist es ja nicht das Schlechteste, wenn man nicht ständig nach Zigarette riecht. Außerdem spart man eine Menge Geld.

Es ist nicht absolut notwendig, bei einem Crystal-Entzug das Zigarettenrauchen einzustellen. Studien bestätigen aber eindrucksvoll, was ich oben beschrieben habe: Wenn Du Zigaretten rauchst, ist die Wahrscheinlichkeit 45% höher, dass es zu einem Rückfall kommt.

Was passiert mit meinen Depressionen?

Überraschend viele Crystal-Konsumierende sind gleichzeitig klinisch depressiv. Zum Teil sind sie wohl gerade deshalb in den massiven Konsum eingestiegen, um ihre Depression selbst zu behandeln. Das funktioniert eben auch anfänglich recht gut, bis all das Negative zu Tage tritt. Relativ schnell kehrt die Stimmungsaufhellung dann zum Gegenteil um. Man kann deshalb auch von einem Teufelskreis sprechen. Das Leben, was am Anfang weniger grau und hoffnungslos durch Crystal erschien, dreht sich dann ziemlich schnell nur noch um Crystal.

Wenn Du also weißt oder vermutest, dass Du eine depressive Grunderkrankung hast, dann sprich mit Deiner Ärztin oder Deinem Arzt darüber, bevor Du aufhörst. Es gibt heute gute und individuelle Therapieformen und Medikamente, die begleitend zum Crystal-Entzug verordnet werden können und die Deine Depression bis zu einem gewissen Grad unter Kontrolle halten.

In den Phasen des Runterkommens von der Crystal-Wirkung - sowie im Entzug und noch lange danach - treten Depressionen sehr häufig auf. Du solltest es Dir allerdings nicht unnötig schwer machen. Wenn Du also eine diagnostizierte depressive Störung hast und vielleicht ärztlich verordnete Medikamente nimmst, dann solltest Du sie nicht absetzen. Dein biochemisches Gleichgewicht kann jede Hilfe benötigen. Sprich in diesem Fall das Thema aber mit Deiner Ärztin oder Deinem Arzt offen an. So kann eventuell die Medikation noch optimaler eingestellt werden. Wie gesagt, nimm jede Hilfe an, die Du bekommen kannst.

Selbsthilfegruppen - bleib nicht allein

Ich möchte Dich mit diesen Zeilen dringend ermutigen, eine für Dich passende Selbsthilfegruppe zu suchen und zu finden. In den USA gibt es die „Crystal Meth Anonymous“, jedoch nicht in jeder Region. Diese Gruppen basieren auf einem ähnlichen Konzept wie die „Narcotics Anonymous“ und die Anonymen Alkoholiker. Was Du bei diesen Treffen erwarten kannst, wie Du Dich aktiv beteiligst oder auch nicht, darüber schreibe ich in einem späteren Kapitel. Für den Moment reicht es mir, wenn ich Dich dazu bringen kann, dass Du für Selbsthilfe und Selbsthilfegruppen offen bist und Dich unvoreingenommen damit beschäftigst.

Warum unbedingt eine Selbsthilfegruppe? Es geht vor allem um eine Sache und die ist das Wichtigste überhaupt: Bei diesen Treffen wirst Du Menschen kennenlernen, die es geschafft haben. Zu den morgendlichen Treffen in Los Angeles zum Beispiel kommen an jedem Samstag mindestens 50 Leute, die teilweise zwei Jahre oder meist sogar noch viel länger clean sind. Und die kommen trotzdem zu jedem Treffen. Zu den abendlichen Treffen in meiner Gruppe in Palm Springs - immer am Donnerstag kenne ich ehemalige Abhängige, die seit mehr als 20 Jahren clean sind.

Okay, ich weiß: Zum jetzigen Zeitpunkt erscheinen Dir wohl schon 30 Tage wie eine halbe Ewigkeit. Auch bei den Gruppentreffen wird oft gesagt, dass die ersten 30 Tage die Härtesten sind. Es ist super, wenn Du gleich am Anfang eine Selbsthilfegruppe mit ehemaligen Crystal-Abhängigen ausfindig machen kannst. Du triffst dort neben Menschen, die schon ewig clean sind, auch welche, die genau wie Du erst seit wenigen Tagen konsumfrei sind. Ihr könnt Erfahrungen austauschen. So kann es losgehen. Suche Dir Unterstützung jeder Art, immer, von Anfang an. Du musst keine Einzelkämpferin oder kein Einzelkämpfer mehr sein. Das ist der Schlüssel zum Erfolg.

Die einfache Wahrheit: Es ist leichter aufzuhören, wenn Du Unterstützung hast. Es ist schwieriger, wenn Du allein bist. Und es ist verdammt noch mal fast unmöglich, wenn das Umfeld Deinen Konsum fördert, anstatt Dich beim Aufhören zu unterstützen.

Einige Worte zu Rückfällen

Wir werden uns im letzten Kapitel meines Buches sehr ausführlich mit Rückfällen beschäftigen und wie Du damit umgehen kannst. Aber hier schon mal ein paar wichtige Worte vorweg: Nicht jede und nicht jeder ist beim ersten Mal erfolgreich. Ich war es nicht. Ich brauchte drei Monate, in denen ich es immer wieder probiert habe, bis ich es endlich geschafft hatte.

Ich könnte eine Menge Gründe finden, aber letztlich ist – für meinen Fall zumindest – die Erklärung dann doch recht simpel: Ich war einfach bei den ersten Versuchen noch nicht wirklich bereit dafür. Es hatte noch nicht „Klick“ gemacht. Obwohl ich am Stock ging und ein geschwollenes Bein hatte, war ich noch nicht richtig am Ende. Aber mir war klar, dass ich mich langsam annäherte. Also probierte ich es über Monate hinweg immer wieder, bis ich tatsächlich erfolgreich aufhörte.

Rückfälle sind sehr häufig, besonders in den ersten 30 Tagen. Das werden vermutlich die härtesten 30 Tage auf dem Weg zu Deiner Abstinenz. Aber lass Dich nicht entmutigen, falls Du rückfällig wirst. So viele Menschen haben es geschafft und Du kannst es auch schaffen. Glaub mir! Es ist nicht einfach, es ist verdammt schwierig. Manchmal folgt Rückfall auf Rückfall, aber am Ende können wir es schaffen.

Wenn Dir jemand sagt, alles sei ganz einfach, dann sagt er nicht die Wahrheit. Für die allermeisten ist es ein verdammt harter Weg. Denk dran, ein Rückfall kann ein Teil Deines Heilungsprozesses sein, vor allem am Anfang. Bleib dran, versuch es immer wieder. Wenn Du schon in einer Selbsthilfegruppe bist, dann erscheine dort immer am vereinbarten Tag, auch wenn Du rückfällig warst. Lass Dich einfach nicht entmutigen, durch nichts und niemanden. Es geht hier um Dein Leben.

Kapitel 2: Der Entzug

Tag 0-15

Der Entzug dauert gewöhnlich 1-2 Wochen, kann sich aber auch auf bis zu 4 Wochen ausdehnen – in extremen Fällen sogar länger. Dein Gehirn und Dein Körper legen jetzt einen Spurt in Richtung Regeneration hin. Ich nenne dies auch die "Schlafen, Essen und Trinken"-Phase. Crystal hat eine Menge Schaden angerichtet, und der muss erst repariert werden, bevor Du weiter vorankommen kannst.

"In diesen ersten zwei Wochen war alles, was ich tun konnte, schlafen und essen, schlafen und essen und noch mehr schlafen."

(Dana, 1 Jahr clean)

"Denk einfach dran, dass Du Dich nicht immer so fühlen wirst. Glaube daran, dass es besser wird, denn das wird es."

(Steed, 7 Jahre clean)

Was Du erwarten musst

Der Crash – Absturz in das tiefe Loch

Die härteste Phase beim Crystalentzug ist das, was man als "Crash" bezeichnet. Am Ende des Rausches fällt man in ein tiefes dunkles Loch. Dieser Zustand bringt starke Depressionen mit sich, extreme Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. Gleichzeitig bauen sich auch Ängste bis hin zur Panikattacke auf. Zu dieser emotionalen Hölle kommen noch die körperlichen Sachen hinzu - totale Erschöpfung und Müdigkeit. Sehr wahrscheinlich hast Du viele Tage nicht geschlafen. Sehr wahrscheinlich hast Du auch zu wenig gegessen und getrunken. Es ist also keine Überraschung, dass sich Dein Körper nach Ruhe und Nahrung sehnt.

Der Zusammenbruch findet also sowohl gefühlsmäßig als auch körperlich statt. Und anders als bei verschriebenen Medikamenten (oder weiterkiffen, was in meinen Augen nicht die erste Wahl ist), kannst Du wenig tun außer essen und schlafen, um die schwerwiegenden Symptome zu mildern.

Sei Dir darüber im Klaren, was nun kommt. Und vor allem, dass es kommen wird: Die auf dem körpereigenen Botenstoff Dopamin basierten Prozesse Deines Denkens und Fühlens sind schwer beschädigt. Es kann eine Woche oder mehr dauern bis Dein Dopaminhaushalt wieder auf einem Level ist, bei dem sich Deine Stimmung wieder aufhellt, Deine Energie zurückkommt und Dein Denken klarer wird. Für gewöhnlich dauert die Phase des Crashs zwischen 3 und 15 Tagen. Für User, die sehr lange konsumiert haben, kann er jedoch auch einen Monat oder länger andauern. Denk dran, je nachdem wie lange und intensiv Du konsumiert hast, brauchen Dein Körper und Dein Gehirn Zeit, um sich zu erholen.

Ich selbst war fast 3 Wochen komplett down, nachdem ich aufgehört hatte. Mit "down" meine ich, dass ich nur schlafen, fernsehen, massenhaft essen und hauptsächlich alleine in meinem Bett sein wollte. Ich zwang mich dazu, ein paar Sachen zum Essen einzukaufen und ein paar Rechnungen zu bezahlen, sonst ging gar nichts. Ein Ex-User aus San Francisco, den ich interviewte, hatte 20 Jahre konsumiert und erzählte, dass sein Zusammenbruch mehr als 3 Monate angehalten hatte. Wohingegen eine Hausfrau aus dem mittleren Westen, die weniger als ein Jahr konsumiert hatte, schwor, dass ihre Schlafphase höchstens 3 Tage gedauert hatte. Die Dauer des "Crashs" hängt von vielen Co-Faktoren ab, wie der Dauer und Intensität des Konsums, Deinem Alter und Deinem allgemeinen gesundheitlichen Zustand.

Einige weitere häufige Entzugssymptome sind Zähneknirschen, Kieferkrämpfe und starkes Schwitzen in der Nacht. Und gleichzeitig schreit Dein Gehirn buchstäblich danach, dass Du ihm wieder Crystal zuführen sollst.

Um erfolgreich aufzuhören, musst du den "Crash" einfach wie auch immer überwinden - ohne wieder mit dem Konsum anzufangen. Das ist das Entscheidende! Versuch daran zu denken, dass diese anstrengende Zeit vorbeigehen wird. Mache Dir bewusst, dass nach dem "Crash" oft eine Phase kommt, die manche als "Flitterwochen" oder als "Rosa Wolke" bezeichnen. Dies wird ein sehr erhebender und freudvoller Teil Deiner Heilung sein.

Essen, Appetit und viel Schlaf

Du wirst an irgendeinem Punkt sehr hungrig werden, einfach weil Du in den letzten Tagen kaum etwas Richtiges gegessen hast. Hast Du anfangs keinen Appetit, dann trinke wenigstens genug. Dein Appetit wird schnell zurückkommen, und zwar mit aller Macht.

Du wirst viel schlafen müssen und das ist gut so. Ein "zu viel" an Schlaf gibt es in den ersten Tagen oder auch Wochen nicht. Mehrere Tage durchzuschlafen und nur aufzustehen, um aufs Klo zu gehen oder schnell etwas zu essen, ist nicht ungewöhnlich. Nochmal: Abhängig davon wie lange und wie intensiv Du konsumiert hast, wird Dein Schlaf-Marathon einige Tage bis eventuell mehr als einen Monat andauern.

In dieser Phase kommt für viele der Zeitpunkt, an dem Dir Dein Meth-abhängiges Gehirn einreden wird, Du könntest doch mit einem kleinen Bisschen Crystal dieser körperlichen Erschöpfung wieder entkommen. Die Verlockung ist enorm, und tritt typischerweise nach ein paar Tagen gutem Schlaf auf. So ein typisches süchtiges Denken äußert sich beispielsweise in Gedanken wie dem Folgenden: „Nachdem ich mich jetzt ein paar Tage ausgeruht habe, könnte doch mit einem "kleinen" chemischen Energiebooster alles wieder normal sein“. Wie mir ein Ex-User sagte: "Das Leben, zu dem ich dann immer zurückkehrte, war alles andere als normal. Ich hatte es nie geschafft, mehr als ein paar Tage clean zu bleiben - ich konsumierte dann doch immer wieder, damit ich nicht so furchtbar viel schlafen musste". Die wahre Lösung hier ist nicht: noch mal ein "klein wenig" Meth. Sondern: einfach noch mehr Schlaf. Denk dran, viel Schlaf zu diesem Zeitpunkt Deines Clean-werdens ist super. Du kannst gar nicht zu viel davon bekommen.

Verwirrtheit, Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnisverlust

Abhängig davon, wie intensiv und lange Du konsumiert hast, können im Entzug Schwierigkeiten beim Denken und Konzentrieren sowie auch Phasen mit kompletter Verwirrtheit Auftreten. Auch Gedächtnislücken und Gedächtnisverlust treten manchmal auf. Diese Symptome sind ganz typisch für den Entzug - sie werden danach recht schnell wieder zurückgehen oder ganz verschwinden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es wichtig für Dich, Dir klarzumachen: Dein Gehirn ist jetzt erst mal erschöpft - sowohl emotional als auch biochemisch.

Verwirrtheit, Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnisverlust ziehen sich manchmal noch - weniger intensiv - bis in die ersten Monate Deines Clean-seins hinein. Keine Panik! Es wird nicht ewig so weitergehen. Diese Symptome sind noch auf Deinen Entzug zurückzuführen. Sie sind Anzeichen dafür, dass sich Dein Gehirn jetzt erholt.

Paranoia, Stimmen hören und Wahnvorstellungen

Wenn Du regelmäßig Crystal in hohen Dosen konsumiert hast, kann es sein, dass Du eine "Methamphetamin-Psychose" entwickelt hast – eine schicke Art zu sagen, dass Dein Gehirn vorübergehend einfach krank und komplett überfordert ist.

Hier ein paar Beispiele, wie sich solche Symptome äussern können:

Optische und akustische Halluzination - Du hörst Stimmen oder siehst seltsame Dinge

Unzusammenhängendes Sprechen - Dein Gegenüber kann dir kaum folgen

Spüren von Dingen, die nicht da sind - Krabbelnde Käfer auf oder unter Deiner Haut etc.

Paranoia - Du fühlst Dich zum Beispiel von der Polizei, einem Geheimdienst oder den Nachbarn überwacht. Oder Du hast Wahrnehmungen von Menschen, die sich in den Bäumen verstecken ("Tree People"), Dich von draußen belagern und versuchen, durch Dein Fenster zu Dir reinzuschauen.

Diese psychotischen Zuständen treten manchmal im Entzug auf und hören normalerweise nach ein paar Tagen wieder auf. Du brauchst Dir erst mal keine Gedanken zu machen, dass es sich hier um eine bleibende psychische Störung handelt. Was Du erlebst, gehört oft zum Entzug und hört wieder auf. Zwar gibt es auch Fälle, bei denen solche Psychosen länger andauern oder sich als eigenständige Krankheit herausstellen. Aber das ist eher selten. Stresse Dich also erst mal nicht zu sehr, da musst Du jetzt durch.

Hier noch ein paar verbreitete Halluzinationen, die User erleben: Menschen im Baum, Schattenmenschen, herumschleichende Wesen, die Du aus Deinen Augenwinkeln heraus siehst, Stimmen, die von Deinem Dachboden oder aus Deinem Keller flüstern (auch wenn Du weder einen Dachboden noch einen Keller hast), das Geräusch von Polizeihubschraubern, die sich annähern, Aliens oder Geister, die aus Deinem Fernseher zu Dir sprechen (egal ob er an ist oder nicht), das Schlurfen von unsichtbaren Füßen über Deinen Fußboden (oder an Deiner Decke), Geräusche von Drogenfahndern oder dem Sondereinsatzkommado draußen vor Deiner Tür. Diese akustischen oder visuellen Halluzinationen gehen meistens mit einer großen Paranoia einher. Du hast nun eine Ahnung bekommen, worum es hier geht, ja? Ganz typisch: Was auch immer Du siehst oder hörst - es scheint Dich zu beobachten.

Hast Du das Gefühl eine Gefahr für Dich oder andere zu sein, dann suche sofort ärztliche Hilfe. Im Zweifelsfall, rufe den Notarzt bzw. Rettungsdienst (Tel. 112)! Das Schlimmste, was Dir hier passieren kann ist, dass Du ein paar Tage zur Beobachtung ins Krankenhaus kommst. Sag dem Arzt bzw. der Ärztin unbedingt, dass Du gerade von Crystal runterkommst, so dass Du nicht fälschlicherweise als paranoid-schizophren diagnostiziert wirst.

Falls Du Dich entscheidest, die Halluzinationen und die Paranoia zu Hause durchzustehen, gibt es hier ein paar hilfreiche Infos:

Während eines akuten psychotischen Zustands bist Du nicht ganz zurechnungsfähig. Der durchgeknallte paranoide Druffi in Deinem Kopf bestimmt die Show. Und ihm kannst Du auf keinen Fall vertrauen. Die Halluzinationen und die Paranoia – Dein akut-psychotischer Zustand – hören normalerweise 2-3 Tage nach Konsumbeendigung auf, aber manchmal hält er auch bis zu einer Woche oder mehr an. Wenn Deine Symptome länger als 10 Tage anhalten oder mit der Zeit schlimmer werden, geh zum Arzt!

Wenn Du jetzt gerade mitten in Deinem psychotischen Zustand bist, wirst Du höchstwahrscheinlich nicht in der Lage sein, dies hier zu lesen.

Wenn Du dies für jemanden liest, der sich gerade in diesem Zustand befindet und keine Verbindung mehr zur Realität hat, musst Du entscheiden, was zu tun ist. Also: Hast Du das Gefühl, der Betroffene gefährdet (wahrscheinlich) sich selbst oder andere, ermutige ihn oder sie in die Notaufnahme zu gehen. Ist er oder sie nicht mehr in der Lage, sicher dorthin zu gelangen, ruf den Notarzt!

Gefühlswallungen – Tränen, Wutausbrüche oder beides

Neben Erschöpfung und einem allgemeinen Gefühl von Niedergeschlagenheit wirst Du sehr wahrscheinlich auf einer Gefühlsachterbahn unterwegs sein. Bei Werbung im Fernsehen zu heulen ist sehr verbreitet. Ein bestimmtes Lied kommt im Radio und schon rinnen die Tränen. Du sprichst mit jemandem über so etwas lächerliches wie das Wetter und wirst von Gefühlen übermannt. Das ist völlig normal – vor allem in den ersten 2 Wochen, aber eventuell auch über Monate hinweg.

Denk dran, Dein Gehirn wurde chemisch traumatisiert. Es muss eine Menge passieren, damit es wieder in einen ausgeglichenen Zustand versetzt wird. Die emotionale Intensität sollte mit der Zeit weniger werden, sie kann aber durchaus auch noch eine Weile so bleiben – so wie bei mir: Während der ganzen ersten 6 Monate fing ich total schnell an zu weinen, vor allem wenn ich über mein Abstinent-werden sprach oder über die Menschen, die ich liebe.

Wutausbrüche sind weit verbreitet in den ersten Wochen. Wenn man erstmal aus seiner eigenen Dunkelheit rauskommt, passiert es natürlich leicht, dass man überall Probleme sieht und alles kritisiert oder verurteilt.

Eine Ex-Userin - in ihrem ersten cleanen Monat - erzählte mir: "Wenn ich nicht gerade total erschöpft bin, dann bin ich so gereizt und angespannt, dass ich Dir glatt Deinen Kopf abreißen könnte. Es ist total lächerlich und ich weiß das, aber ich kann nicht anders. Ständig entschuldige ich mich anschließend, was noch anstrengender ist."

Sich für unkontrolliertes Verhalten im Entzug zu entschuldigen und anderen einiges zu erklären, ist die richtige Strategie. Ich denke, es macht Sinn, Andere auf mögliche plötzlichen Wutausbrüche vorzubereiten. Es ist notwendig, Deinen Freunden und Deiner Familie zu erzählen, dass Du wütend auf alles und auch gereizt bist, weil Du gerade mit Deinem Entzug zu tun hast. Es sind Begleiterscheinungen des Entzugs. In solchen Momenten bist Du nicht "Du selbst", bzw. Du schlägst vielleicht verbal um Dich und kannst Deine Reaktionen und Impulse schlecht kontrollieren. Dein Gehirn befindet sich im Ausnahmezustand. Hier sind also Deine Möglichkeiten: Erkläre Deinem Umfeld so gut wie möglich, in welcher Phase Du Dich befindest und dass Du extrem und unkontrolliert reagieren kannst. Entschuldige Dich ruhig schon mal im Voraus. Versuche einfach Dein Bestes.

Sich ungesellig fühlen

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Du Dich total ungesellig fühlen wirst. Der "Crash" zieht Dich in die Isolation. Du kannst Dich an diesen ersten Tagen sicherlich nicht gut anderen mitteilen und auch nicht besonders einfühlsam sein.

Das ist okay, mach Dir keinen Stress.

Schlaf, iss und ruh Dich aus. Verschiebe alle wichtigen Gespräche auf ein paar Wochen später. Sich während des Entzugs nicht besonders sozial zu fühlen, ist normal und auch zu erwarten.

Abszesse, Streptokokken und "Meth Mouth"

Ein Bekannter von mir hatte einmal einen Abszess am Arm - einen eitrigen Entzündungsherd unter der Haut. Er ist allerdings viel zu spät damit zum Arzt gegangen. "Zu spät zum Arzt zu gehen mit einem Abszess war ein riesiger Fehler", erzählte er mir. "Weil ich erst einmal gewartet hatte, musste ich dann 2 Tage im Krankenhaus am Tropf hängen". Wenn Du also das Gefühl hast, dass sich Deine "Andenken an den Konsum" infizieren oder nicht innerhalb von ein paar Tagen abheilen, dann geh sofort zu einem Arzt oder einer Ärztin. Zu versuchen, damit alleine zurechtzukommen, ist ziemlich unklug.

Dasselbe gilt für Deine Zähne, wenn sie in einem schlechten Zustand sind - das "Meth Mouth", wie man so schön sagt. Warte nicht! Mach gleich heute noch einen Termin aus. Es dauert ja meist eine Weile, bis man einen Zahnarzt-Termin bekommt.

Die richtige Behandlung, Antibiotika (wenn vom Arzt angeraten) und eine fachgerechte Versorgung von Abszessen können Wunder bewirken. Wir leben im 21. Jahrhundert - lass also Deine "Kriegsverletzungen" nach dem neuesten Stand der Medizin behandeln und Du wirst Dich schneller erholen.

Der erste Monat ist der Schwerste – meistens

Von ehemaligen Abhängigen wirst Du immer wieder hören: Die ersten 30 Tage sind die Schwersten. Du wirst diese Zeit einfach einen Tag nach dem anderem Tag bewältigen müssen. Mir ist ein Rechtsanwalt aus Beverly Hills aus meiner Selbsthilfegruppe im Gedächtnis geblieben. Er schilderte mir, wie er jeden Tag in diesem ersten Monat dachte: "Dieser schreckliche und unerträgliche Zustand wird niemals enden." Doch dann passierte es. Es endete! Es ging ihm nach wenigen Wochen sehr viel besser - was er zu dieser Zeit nie erwartet hätte. Halte Dich an solchen Erfahrungsberichten fest. Gut ist es, wenn Du - wie von mir schon empfohlen - jetzt bereits in einer Selbsthilfegruppe oder einer Gemeinschaft von cleanen Ex-Usern bist. Die werden Dich verstehen und unterstützen. Nochmals: Egal, was Du in dieser Zeit glaubst - dieser Zustand wird auf jeden Fall in ein paar Wochen vorbei sein. Du wirst Dich schnell viel besser fühlen.

Es gibt auch Betroffene, für die der erste Monat gar nicht so schlimm war, im Gegenteil. Jemand aus meiner Selbsthilfegruppe erzählte mir, dass sich nach weniger als einer Woche das Dunkel gelichtet hatte und er den Rest des ersten Monats absolut liebte. Tatsächlich beschrieb er seinen ersten Monat als seinen Lieblingsmonat, weil er zum ersten Mal seit Ewigkeiten voller Hoffnung war und den cleanen Zustand liebte. Es war, als ob er vom tiefsten Dunkel direkt in eine rosa Wolke übergeht. Wenn Du das auch so erleben solltest, toll! Je weniger schlimm Deine Entzugssymptome sind, desto besser.

Hier möchte ich es noch einmal klarstellen, was ich Dir vermitteln will: Ich habe die Weisheit nicht mit Löffeln gegessen. Ich will Dir helfen, in dem ich Dir berichte, was die meisten von uns erlebt haben. Es kann bei Dir auch ganz anders laufen und wenn es bei Dir weniger problematisch ist - umso besser. Wer bin ich denn zu behaupten, dass Du einen schweren ersten Monat erleben wirst? Nur weil es vielen von uns so geht? Erinnere Dich: Wie Dein Heilungsprozess abläuft, ist genauso individuell wie Du.

Was Du tun kannst

"Du hast Dich durch die Hölle begeben.
Jetzt ist es an der Zeit, Dich selbst lieb zu haben."

(Maria, 5 Jahre clean)

Deinen Körper wieder auftanken

Als erstes solltest Du - sobald Du soweit bist, wieder von Deiner anfänglichen Entzugs-Diät der ersten Tage runterkommen, die ja meist aus Mineralgetränken wie Gatorate für die Flüssigkeit und aus Protein- bzw. Aufbaudrinks für die Kalorien besteht. Und zwar so:

Essen: Beginne wieder, feste natürliche Nahrung zu Dir zu nehmen. Flüssigkeitshaushalt: Trinke viel Wasser, vielleicht auch mit ein wenig ausgepresster Zitrone angereichert. Noch besser und mein persönlicher Tipp: Naturreines Kokosnuss-Wasser, wenn es das bei Dir im Supermarkt oder Bioladen gibt (meist in Tetrapacks im Kühlregal). Die Verdauung unterstützen: Ich empfehle probiotischen Kefir, Joghurt oder Joghurt-Drinks. Diese enthalten lebende Joghurt-Kulturen und sind gut für die Darmflora. Ich persönlich empfehle "Yakult", ein Produkt aus Japan, das es in den meisten großen Supermärkten gibt. Vitamine: Nimm täglich Multivitamin-Tabletten - die gibt es günstig in Drogerien. In der ersten Woche kannst Du ruhig die doppelte angegebene Dosis einnehmen. Zusätzlich ist es wichtig, auf eine ausreichende Versorgung mit Kalium zu achten. Das kannst Du sehr gut mit dem schon erwähnten Kokosnuss-Wasser abdecken. Auch Bananen sind als Vitalstoff-Lieferant sehr geeignet, sie enthalten viel Kalium und weitere wichtige Mineralstoffe und Vitamine.

Was Dein Körper neben der Ernährung zum Wiederaufbau am meisten braucht, ist Ruhe. Während der gesamten Entzugsphase kannst Du so viel schlafen, wie Dein Körper das verlangt. Schlaf, Schlaf und noch mehr Schlaf. Gib Deinem Körper Zeit sich von der intensiven Erschöpfung zu erholen.

Beruhige Deine Nerven

Neben dem Auftanken mit Nährstoffen ist Ausruhen sehr wichtig. Das bedeutet nicht nur viel zu schlafen, sondern auch den Geist sich erholen zu lassen, ihn einfach mental abschweifen zu lassen. Beispielsweise kannst Du Dir alle Deine Lieblings-Fernsehserien oder Filme ansehen. Das kannst Du Dir ruhig gönnen. "Gottseidank gibt es Netflix", erzählte mir ein Ex-User. "Ich habe meinen gesamten Entzug damit verbracht, stundenlang Serien zu schauen"

Im Grunde geht es darum, Deinen Körper und Geist durch die nächsten 2 Wochen zu bringen, ohne sie mehr zu stressen als unbedingt nötig. In dieser Entgiftungsphase bist Du möglicherweise deprimiert und sehr wahrscheinlich total emotional. Dein Gehirn versucht mit aller Kraft, gesund zu werden. Versuche, ihm ab und an eine Pause zu gönnen und Dich mit irgend etwas Nettem abzulenken.

Verbanne die Scham

Es ist nachvollziehbar, sich dafür zu schämen, was durch die Abhängigkeit aus dem eigenen Leben geworden ist. Aber wenn Du clean werden und bleiben willst, solltest Du erst einmal alle Gefühle der Scham beiseite schieben. Du wirst später, nach den ersten Etappen Deines Clean-Seins, besser in der Lage sein, die alten Sachen anzugehen.

Es ist jetzt besonders wichtig für Dich, Dir immer wieder klarzumachen, dass Du eine Erkrankung hast und gerade dabei bist, diese zu überwinden. Dein Denken ist nicht klar im Moment und es braucht Zeit, bis Dein Geist sich regeneriert hat. Darauf solltest Du Dich konzentrieren und nicht auf Scham. Wenn Du in einer Spirale von Schamgefühlen gefangen bist, kann das leicht dazu führen, vor lauter Schuldgefühlen wieder zu konsumieren. Ein Teufelskreis. Deinem Clean-Sein zuliebe musst Du die Scham jetzt erst mal verbannen.

Das hier ist die nackte Wahrheit: Scham ist der große Feind des Clean-Werdens - auf kurze und auch auf lange Sicht.

Triff keine wichtigen Entscheidungen

Jetzt ist nicht die Zeit, um "große" Entscheidungen fürs Leben zu treffen. Ganz ehrlich, Du kannst Deiner Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, derzeit überhaupt nicht trauen. Dein Gehirn ist dazu im Entzug nicht in der Lage. Um es anders auszudrücken: Dein Hirn ist gerade ziemlich im Eimer und muss sich erstmal mit sich selbst beschäftigen.

Es ist jetzt also nicht die richtige Zeit, um Deinen Job zu kündigen oder um eine Beziehung zu beenden. Es ist auch nicht die beste Zeit, gerade jetzt Deiner Oma von Deiner Abhängigkeit zu erzählen. Jetzt ist nicht der Moment, irgendjemandem irgend etwas zu gestehen, Punkt.

Einfach nur: Schlafen, Ausruhen und Essen - fürs Erste.

Finde Dein Clean-Datum heraus

Finde den Tag heraus, an dem Du das erste Mal wirklich clean und nüchtern warst. Bei mir war es der Beginn meines Zusammenbruchs - 24 Stunden, nachdem ich zum letzten Mal Crystal konsumiert hatte.

Manche Leute zählen nicht gerne Tage. Ich halte das jedoch für sehr wichtig, besonders am Anfang. Denk dran, in den ersten Wochen ist jeder einzelne Tag ein großer Schritt. Hab keine Angst, es wird nicht auf ewig so schwer sein.

Deine nüchternen Tage zu zählen, kann dabei helfen, Deine Abstinenz zu festigen. Schneller als Du denkst, werden es immer mehr Tage werden, die Dir zeigen, welch harte Arbeit Du schon geleistet hast - um clean zu werden und zu bleiben.

Kapitel 3: Im siebten Himmel

Die Dunkelheit lichtet sich. Dein Körper hat nun die wichtigsten Regenerationsprozesse bewerkstelligt. Du fühlst Dich emotional und körperlich viel besser. Vielleicht fühlst Du Dich sogar großartig – besser als seit Jahren – und es fängt gerade erst Deine dritte Woche an! Dummerweise kann gerade dieses Hoch zu einem Übermaß an Selbstvertrauen führen und Dich dazu verleiten, Dein Crystalproblem kleinzureden.

Viele Leute werden in dieser Phase rückfällig, weil sie sich selbst überschätzen. Aber nicht Du. Du bist vorbereitet. Du weißt, dass Du nicht ewig im siebten Himmel schweben wirst. Trotzdem gibt es eine Menge zu genießen während dieser Zeit.

Es gibt viel zu tun – jetzt, wo Du Dich stärker fühlst.

"Nach etwa zwei Wochen ging es mir mit einem Schlag viel besser."

(Ruth, 3 Jahre clean)

"Es ist verrückt. Ich habe die einzige Krankheit auf dieser Welt, die ständig selbst versucht, ihre Heilung zu verhindern. Man muss sich das wirklich bewusst machen. Die Krankheit versucht Dir immer wieder einzureden: Dir geht es doch jetzt so viel besser! Du hast Dich jetzt im Griff, warum nicht noch mal ein klein wenig Party machen – nur noch einmal."

(John, 3 Jahre clean)

Was Du erwarten musst

Die rosa Wolke

„Nach ungefähr einer Woche, in der ich mich nur schlecht fühlte und nur geschlafen habe, bin ich aufgewacht und habe mich plötzlich großartig gefühlt. Es war, als wäre in meinem Körper und in meinem Kopf ein Lichtschalter angemacht worden. Auf einmal waren die Hoffnung und die Energie zurück. Ich ertappte mich sogar beim Singen unter der Dusche. Ich spürte richtig, dass der Drang zu konsumieren komplett weg war. Und ich war plötzlich so glücklich, am Leben zu sein. Ich hatte total vergessen, wie großartig ein stinknormaler Tag sein kann.“ Dies sagte mir ein Crystal-Abhängiger, der seid einem Monat clean war. Solche Schilderungen sind ein typisches Beispiel für die „Rosa Wolke“, wie ich das mal nennen mag“. Es ist eine großartige Zeit während Deiner Genesung. Nicht jede oder jeder erlebt diese Zeit so intensiv. Die meisten von uns werden aber in irgendeiner Form dieses Gefühl haben, im siebten Himmel zu schweben.

Wieso tritt so etwas in ganz ähnlicher Form bei so vielen von uns auf?? Wieder ist die Antwort in der Gehirnchemie zu suchen. Das Gehirn braucht circa 1-2 Wochen, um die Dopaminspeicher wieder auf ein akzeptables Level aufzufüllen. Wenn das passiert, verbessert sich Deine Laune und die Energie kehrt zurück; auch das Denken wird wieder klarer. Scheinbar befreit von Deiner Crystalabhängigkeit sieht alles plötzlich fröhlich, schön und rosa aus - daher bezeichnet man diese Phase im englischen auch als „pink cloud“ - die rosa Wolke.

Wie stark diese „pink cloud“ bei Dir ist, hängt von Deiner Gehirnchemie ab. Für manche fühlt sich ihr Zustand nicht nach rosa Wolke an. Bei ihnen ist es lediglich ein Gefühl, dass das Leben nicht so völlig hoffnungslos ist, wie es in der vorhergehenden Phase erschien. Es ist vielleicht nicht immer so intensiv, aber für jede und jeden gibt es definitiv einen mehr oder weniger plötzlichen Aufschwung aus der Verzweiflung und Erschöpfung.

Bei den meisten hält diese Phase etwa einen Monat an. Also genieße es. Nun ist es nämlich Zeit, richtig in die Heilung einzutauchen. In dieser Phase gibt es eine Menge zu tun, was wir uns im nächsten Abschnitt „Was tun?“ anschauen werden.

Nutze die neugewonnene Energie um zu Selbsthilfegruppen für Dich auszuprobieren. Und vielleicht gelingt es Dir auch, neue Freunde und Freundinnen zu finden, eine neue Tagesstruktur zu finden und Dein Leben so zu gestalten, dass es eine abstinente Lebensweise fördert. Nutze die „Rosa Wolke“ um für Deinen Heilungsprozess aktiv zu werden. Sei Dir aber auch bewußt, dass in dieser Phase einige Herausforderungen auf Dich zukommen.

Konsumträume

Sehr wahrscheinlich wirst Du während dieser Zeit anfangen „Konsumträume“ zu haben. Ich hatte ungefähr ein Dutzend in den ersten vier Monaten. Vielleicht hast Du viele, vielleicht wenige. Die meisten Leute berichten, dass sie mit einem Schuldgefühl erwachen – so, als hätten sie tatsächlich konsumiert. Das ist normal. Wenn das erste Schuldgefühl vorüber ist, versuche dankbar zu sein, dass Du tatsächlich nicht konsumiert hast. Es war glücklicherweise nur ein Traum.

So ein Traum bedeutet nicht, dass Du schon mit einem Bein im Rückfall stehst. Träume sind vielmehr ein Ausdruck Deines Unterbewusstseins.

Falls Du Dich mit diesen Träumen auseinandersetzen möchtest, finde heraus, was im Traum neben dem Konsum noch los war. Wer war noch im Raum mit Dir? Hast Du gezögert, bevor Du konsumiert hast oder freudig zugeschlagen? Überleg einfach nochmal. Vielleicht schreibst Du es auf, damit Du es nicht vergisst. Dann, wenn Du das nächste Mal vom Konsumieren träumst, schau ob sich etwas verändert hat. Was sagt Dir Dein Traum über Deine Gefühle gegenüber dem Konsum? Über das, was um den Konsum herum geschieht? Sich damit tiefer auseinanderzusetzen, kann spannend und bereichernd sein.

Fast nach einem Jahr clean sein hatte ich einen Traum, in dem mir eine Meth-Pfeife angeboten wurde - ich lehnte ab, stand auf und verließ die Situation. Es war großartig, sich an diesen Traum zu erinnern, als ich aufwachte. Mein Konsumtraum war ein Nicht-Konsumtraum. Bestimmt hast Du auch irgendwann solche Nicht-Konsumträume.

Gedächtnislücken können sich am Anfang verstärken

Während der ersten Wochen des Clean-seins wirst Du eventuell Probleme haben, Dich an Dinge zu erinnern. Es wird Dir vielleicht sogar so vorkommen, als würde Dein Gedächtnis immer schlechter werden. Die gute Nachricht daran ist: Deine Gedächtnisleistung wird, je nachdem wie lange und intensiv Du konsumiert hast, nach den ersten paar Monaten zurückkehren.

Manche Abhängige, die wirklich lange und viel konsumiert hatten, berichteten anschließend von sehr langwierigen Gedächtnisproblemen. Wissenschaftler können jedoch mit bildgebenden Verfahren am Gehirn zeigen, dass sich diese Schädigungen wieder zurückbilden können.

Also, halte durch. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird sich Dein Gedächtnis nach einem oder zwei Monaten wieder wesentlich verbessern.

Taubheit an Einstichstellen

Falls Du Crystal gespritzt hast, wird es vielleicht Stellen an Deinen Armen oder Händen geben, an denen Du die Vene verfehlt und aus Versehen ins Körpergewebe injiziert hast. Oft bildet sich an dieser Stelle ein kleiner, harter Knoten. Normalerweise verschwindet dieser Knoten nach ungefähr einem Monat wieder, aber Du kannst diesen Prozess beschleunigen, indem Du die Stelle wärmst – zum Beispiel mit einer warmen Kompresse. Das hilft, damit über die kleinen Blutgefäßen im Gewebe - die Kapillaren - die Selbstheilung des Körpers schneller und besser vonstatten gehen kann.

Nachdem sich der Knoten zurückbildet, wird die Stelle auf der Haut und das Gewebe darunter in der Regel taub. Wie groß diese Stelle ist und wie lange die Taubheit anhalten wird, hängt davon ab, wie viel Crystal injiziert wurde und natürlich wie hoch der Wirkstoffgehalt war.

Es ist wichtig zu verstehen, dass dieses Taubheitsgefühl bis zu vier Monaten anhalten kann. Dreh nicht durch, wenn diese tauben Stellen eine Zeit brauchen um sich aufzulösen, sie werden verschwinden. Versuch geduldig zu sein.

Trigger und das Craving

Ein Lied, das Du zum ersten Mal beim Konsumieren gehört hast, läuft im Radio. Oder eine Person, mit der Du mal feiern gegangen bist, kommt aus dem Lebensmittelladen, als Du gerade hinein gehen willst. Es kann so harmlos sein wie der Strohhalm, den Dir die Kellnerin neben den Eistee legt. Irgendjemand von diesen Leuten, irgendeiner dieser Orte oder eines dieser Dinge kann Erinnerungen an Dein „altes“ Leben hervorrufen, als Du noch konsumiert hast. Diese Erinnerungen – sie werden auch "Trigger" (Auslöser) genannt – verändern typischerweise wieder Dein Denken über den Konsum. Dieses Denken an den Konsum ruft dann im nächsten Schritt häufig eine Sehnsucht hervor, einen Drang, den man als "Craving" bezeichnet.

Craving ist also ein sehr starkes Verlangen, die Droge plötzlich wieder konsumieren zu wollen. Und falls man sich dieses Gefühl ungehindert ausbreiten läßt, ist der Schritt zum Rückfall häufig nicht mehr weit.

Der Ablauf - wenn nicht verstanden und an den richtigen Stellen unterbrochen - ist einfach zu merken: Trigger … Gedanke … Craving … Konsum

Erfolgreich mit Crystal aufzuhören, hat viel damit zu tun, dieses starke Verlangen zu kontrollieren und die Abfolge von Trigger-Gedanke-Craving-Konsum zu durchbrechen. Wir werden uns einige gute Strategien hierfür im nächsten Abschnitt „Was tun?“ anschauen. Vorerst reicht es erst einmal zu wissen, dass man mit diesen Triggern und dem starken Verlangen rechnen muss. Keine Sorge – man kann gut mit ihnen umgehen, ohne rückfällig zu werden. Tatsächlich sind Trigger und Craving Teile des Heilungsprozesses.

Was Du tun kannst

Merksatz: Meine Sucht will mich tot sehen

Es kann ein guter Trick sein, wenn Du dir deine Sucht als Person vorstellst. Denk an sie als ein lebendiges Wesen, als „meine Krankheit“, die Bedürfnisse und Verlangen hat. Immer wenn Du getriggert wirst, erinnere Dich daran, dass der „Gedanke zu konsumieren“ Deine Krankheit ist - die gerade „mit Dir spricht“. Und vergiss nicht: „Meine Sucht will mich töten.“ Dieses Motto - oder eine für Dich gut passende Abwandlung davon – kann Dich bestärken, wenn sich Deine Gedanken um den Konsum drehen.

In Selbsthilfegruppen sagen die Leute oft: „Während des Treffens geht’s mir super. Nur wenn ich danach ins Auto steige, gerate ich in Schwierigkeiten. Während ich ruhig drin sitze, macht meine Krankheit draußen auf dem Parkplatz Liegestütze.“ Ich mag diese Formulierung, denn sie erinnert mich daran, dass die Krankheit zu jedem Zeitpunkt ihren hässlichen Kopf erheben kann, sogar wenn der Konsum gerade das Letzte ist, woran ich im Moment denke. Versuche jeden Gedanken an den Konsum als die Stimme Deiner Krankheit aufzufassen. “Deine Sucht“ ist ein Übel wollendes „Anderes“, das darauf aus ist Dir zu schaden. Das ist näher an der Wahrheit als Du denkst.

Deine Krankheit hält einige großartige Lügen für Dich bereit, um Dir zu sagen, dass Du jetzt, wo Du ein paar Wochen abstinent bist, Crystal „kontrolliert“ konsumieren kannst. Diese Krankheit ist auch eine der wenigen Krankheiten, die Dir einreden will, dass Du sie gar nicht hättest. Sie sagt Dir immer und immer wieder: „Du bist gar nicht richtig abhängig. Du kannst Deinen Konsum kontrollieren, wenn Du wirklich willst.“

Es wäre eigentlich zum Lachen, wenn es nicht so tödlich wäre.

Es ist entscheidend zu realisieren, dass Deine Krankheit nur eine Sache will - Dich zu zerstören. Während meines ersten Jahres sagte ich mindestens einmal am Tag zu mir selbst: „Meine Krankheit will nur eins – mich töten.

Halte an dem Ziel fest, für heute Abstinent zu sein

Für manche Abhängige ist es sehr wichtig, an der Idee festzuhalten „für immer“ aufzuhören – wir brauchen dieses große Ziel. Ich bin einer dieser Abhängigen. Um aufzuhören brauchte ich dieses große Versprechen: dass ich für immer aufhören würde, dass die Tage meines Konsums definitiv vorbei waren. Crystal sollte von nun an aus meinem Leben verbannt sein. Falls das für Dich auch funktioniert, super. Behalte dieses große Ziel im Blick.

Aber nicht jede und jeder denkt so. Und selbst wenn, wird es in der Anfangszeit Deiner Abstinenz wahrscheinlich Momente geben, in denen Du buchstäblich nach einem Crystal-Kick lechzen wirst.

In solchen Momenten ist es eventuell nicht hilfreich, „für immer“ aufhören zu wollen. Hier ist es besser, in Größenordnungen von Tagen, manchmal sogar von Stunden oder Minuten zu denken. Mal ehrlich, einen Tag nicht zu konsumieren ist viel einfacher als einen Monat nicht zu konsumieren!

Manchmal zahlt es sich aus, sein Ziel beim Aufhören klein und leichter erreichbar zu formulieren. Mach Dich nicht fertig, wenn Dir „für immer Aufhören“ zu unerreichbar erscheint und nicht gelingt.

Ich hatte folgende Strategie: Als ich in den ersten Monaten das Craving besonders hart spürte, sagte ich mir immer: “Okay, heute durchhalten und wenn das Craving morgen immer noch so heftig da ist, dann konsumiere ich wieder“.

Diese Abmachung mit mir selbst hört sich vielleicht nach komplettem Blödsinn an oder aber nach der perfekten Anleitung zum rückfällig werden. Bei mir aber funktionierte das gut, und das lief so: Wenn ich am nächsten Morgen aufwachte, spürte ich eine immense Dankbarkeit dafür, dass ich am Vortag nicht konsumiert hatte. Und das gab mir immer viel Kraft und Energie.

Lege Dir ein kleines Ziel fest, wenn Du es brauchst. Aber halte an diesem Ziel fest - nur für HEUTE. Für HEUTE musst du nur GENAU DAS SCHAFFEN ... und nicht mehr.

Setz Dir kleine, tägliche Ziele

Das Ziel aufzuhören steht vor allem anderen. Kein Konsum. Aber Du wirst andere Ziele auf Deinem Weg brauchen, tägliche Ziele, die Du erreichen und abhaken kannst. Vielleicht ist eines der Ziele, mit Sport anzufangen. Ein anderes könnte sein, irgendwas Kreatives zu machen wie Malen, Schreiben oder Backen.

Hier ein paar Beispiele für gute kleine, tägliche Ziele für die erste Phase Deiner Abstinenz:

Steh morgens auf und bleibe den ganzen Tag wach, so dass sich Dein Rhythmus normalisiert und Du beginnst, nachts gut durchzuschlafen. Mache täglich einen flotten 20-minütigen Spaziergang. Versuche, täglich 10 Minuten zu meditieren. (Anmerkung: Das funktioniert zum Beispiel so, dass Du mit Deinen Gedanken nur Deine Ein- und Ausatmung verfolgst - ohne sie steuern zu wollen. Und wenn Du in Gedanken abschweifst, ist das okay, einfach langsam wieder mit den Gedanken zum Ein- und Ausatmen zurück kommen.) Ruf heute drei nüchterne Freunde oder Freundinnen an, nur um “Hallo“ zu sagen, und frag, wie ihr Tag so läuft. ...

Es ist wichtig, sich kleine Ziele zu setzen, so dass Du sie auch erreichen kannst. Vergiss nicht, Dein allererstes Ziel ist es, clean zu bleiben. Dennoch sind weitere kleine Ziele wichtig.

Einer der wichtigsten Gründe für einen Rückfall ist Langeweile. Du brauchst also Ziele um Dich zu beschäftigen. Halte an ihnen fest.

Normalisiere Deinen Schlaf und Deinen Tagesablauf

Während des Entzugs im ersten Monat ist der Gedanke, dass Du Medikamente bräuchtest um schlafen zu können, lächerlich. Du bist ausgelaugt und hast keinerlei Probleme einzuschlafen. Nun aber - Du befindest Dich ja wahrscheinlich nun im zweiten Monat - wirst Du Schwierigkeiten bemerken. Zwischendurch am Tag mal kurz einzuschlafen geht zwar immer, aber es kann schwer sein die ganze Nacht durchzuschlafen. Du hast nun viel wichtigen Schlaf nachgeholt, aber Dein Schlaf-Wach-Rhythmus ist noch durcheinander. Angstzustände und Schlaflosigkeit sind häufige nächtliche Erfahrungen während dieser Wochen. Nun ist es also an der Zeit, Deinen Schlaf-Wach-Rhythmus so schnell wie möglich zu normalisieren.

Du willst ja raus aus diesem „Crystal-Tagesablauf“, also die ganze Nacht wachbleiben und dafür am Tag ein paar Stunden ausruhen, wenn überhaupt. Du möchtest zurück in diese Routine der nicht-konsumierenden Welt, die nachts schläft und tagsüber wach ist. Wieder einen normalen Schlaf-Wach-Rhythmus zu haben, hilft Dir sich auf die wichtigen Dinge des täglichen Lebens zu konzentrieren.

Wenn Du glaubst, in dieser Zeit Medikamente zum Einschlafen zu brauchen, gibt es in der Apotheke eine Reihe von rezeptfreien Schlafmitteln, sowohl pflanzliche als auch chemische. Lasse Dich beraten und probiere aus, was für Dich hilfreich ist. Eine weitere geeignete Möglichkeit sind bestimmte Antidepressiva, die gleichzeitig schlaffördernd wirken - diese müsstest Du Dir in Absprache mit Deinem Arzt oder Deiner Ärztin besorgen, weil sie verschreibungspflichtig sind.

Abzuraten als Einschlafhilfe ist von “Benzos“, also Medikamenten die zu den Benzodiazepinen gehören oder ihnen ähneln. Das Abhängigkeitspotenzial ist hoch. In Deinem Zustand können sie auch psychotische Symptome wie etwa Halluzinationen verursachen. Dein Arzt würde sie Dir auch zu recht in den meisten Fällen nicht verordnen, außer wenn Deine persönliche Krankheitsgeschichte es aus bestimmten Gründen erfordern sollte. Als Einschlafhilfe greife stattdessen auf die oben genannten Medikamente zurück. Falls Dein Arzt Dir etwas Gutes tun will und zum Einschlafen “Benzos“ anbietet, würde ich das mit ihm besprechen und stattdessen nach anderen Medikamenten fragen. Ärztinnen und Ärzte verstehen manchmal die unterschiedlichen Phasen nicht so gut wie wir. Du musst ihnen erklären, dass Du gerade in Deinem Heilungsprozess bist und den Entzug gerade hinter Dir hast.

Erkenne die Trigger

Alles, was Du in diesem Kapitel liest, wird sich darum drehen, wie man offensichtliche Trigger vermeiden und dem Craving entgegenwirken kann. Es gibt zwei Arten von Triggern:

Äußere Trigger: Dies sind Dinge außerhalb von Dir, die einen Konsumgedanken auslösen. Wie die Nachricht eines alten, konsumierenden Freundes. Oder ein bestimmtes Dating-Portal. Oder die Gegend, in der Dein Dealer oder Deine Dealerin gewohnt hat. Wir werden uns ein paar der offensichtlichen Trigger anschauen und Dir später in diesem Kapitel Strategien aufzeigen, wie Du ihnen aus dem Weg gehen kannst.

Innere Trigger: Das sind Trigger, die ihren Ursprung in Dir selbst haben, für gewöhnlich Gefühle. Manche Leute werden getriggert zu konsumieren, wenn sie traurig oder deprimiert sind. Du willst dieses Tief einfach mit der Euphorie der Droge wegwischen. Andere, inklusive mir, werden vom Gegenteil getriggert – von Freude und Aufregung. Sobald etwas Gutes passiert, sagt mir meine Krankheit: „Das ist so toll! Lass uns drauf sein, um das zu feiern und um dieses tolle Gefühl länger anhalten zu lassen!“ Manche Leute werden getriggert, wenn sie sich missverstanden, kritisiert oder ignoriert fühlen. Andere, wenn sie stark provoziert oder gereizt werden oder sich beschämt fühlen. Eigentlich kann jede Art von starkem Gefühl für Dich ein Auslöser zum Konsumieren sein – falls Du den Konsum damit verbindest. Finde heraus, welche emotionalen Zustände Dich am meisten triggern.

Im nächsten Abschnitt zeige ich Dir eine Möglichkeit mit jeglicher Art von Triggern umzugehen.

Unterbrich die Gedankenspirale

Den Ablauf von Trigger - Gedanke - Craving haben wir schon in einem früheren Kapitel kennengelernt. Es läuft folgendermaßen ab: Als erstes triggert Dich etwas, das Dich an die Zeit erinnert, in der Du konsumiert hast. Als nächstes kommen immer mehr Gedanken an den Konsum auf, Du beginnst all die alten Erinnerungen zu beschönigen. Und dies führt dann im dritten Schritt direkt zum Craving, diesem intensiven Gefühl, dass Du jetzt sofort konsumieren willst oder musst.

Eine erfolgreiche Strategie ist, die „Gedankenspirale zu unterbrechen“, bevor Du beim Craving ankommst. Du unterbrichst den Ablauf schon, bevor sich der Gedanke an das Konsumieren in ein ausgewachsenes Craving verwandelt. Hierbei gibt es viele Wege und ich möchte, dass Du den Weg findest, der für Dich am besten funktioniert.

Hier einige Vorschläge:

Visualisiere den Konsumgedanken als ein FERNSEHBILD und wechsle dann den Kanal. Stell Dir den Konsumgedanken als ein Fernsehbild in Deinem Kopf vor. Stell Dir dann vor, wie Du in Deinem inneren Fernseher den Sender wechselst. Wähle ein positives, glückliches Bild für den neuen Sender – sagen wir das Bild von jemandem, den oder die Du von ganzem Herzen liebst und der oder die Dich gerade umarmt. Oder Deinen Lieblingsblick aufs Meer. Irgendetwas Kraftvolles, das sofort Glücksgefühle hervorruft. Also: stell Dir vor Deinem geistigen Auge den Wechsel des Senders vor und das neue, positive Bild erscheint auf Deinem inneren Fernsehbildschirm.

Denk an etwas, das starke Emotionen hervorruft, wie z.B. Wut, das aber nicht in Verbindung mit dem Konsum steht. Ein ehemaliger Crystal-Abhängiger erzählte mir, er konnte die „Gedankenspirale“ unterbrechen, indem er immer unmittelbar an einen bestimmten Politiker dachte, der ihn fuchsteufelswild machte. Schon alleine seine Wut auf diesen Politiker (oder eine politische Partei) wiederzuerwecken, reichte aus, um für den Moment überhaupt nicht ans Konsumieren zu denken. Wer hätte gedacht, dass Politik für sowas gut sein könnte? (Wenn natürlich Wut einer Deiner Trigger ist, solltest Du vielleicht etwas anderes probieren).

Lass ein Gummiband an Dein Handgelenk schnipsen. Falls der „Unterbrich die Gedankenspirale“-Prozess für Dich nicht funktioniert, versuch ihn durch eine vorher geplante Handlung zu stoppen. In manchen Therapieeinrichtungen in den USA wird geraten, ein Gummiband um das Handgelenk zu tragen. Du kannst es dann schnipsen lassen, sobald Du Dich bei dem Gedanken an Crystal erwischst. Du machst Dich damit selbst auf Deine Gedanken aufmerksam und stoppst die Spirale hin zum Craving und zum Konsum. Der leichte Schmerz an Deinem Handgelenk bringt Dich zurück zum jetzigen Moment.

Aber sagen wir, das Unterbrechen der Konsumgedanken oder das Verherrlichen des Konsums hat mit diesen Techniken nicht funktioniert. Dann bist Du an dem Punkt, an dem Du ein wirklich unfassbar starkes Verlangen fühlst. Auch jetzt gibt es noch ausreichend Möglichkeiten, diesen Ablauf zu stoppen, und zwar indem du das Craving bekämpfst. Im nächsten Abschnitt zeige ich Dir wie das geht.

Bekämpfe das Craving

Die gute Nachricht zuerst: Der Höhepunkt von einer Craving-Attacke dauert nur 30 – 90 Sekunden ... solange Du nicht anfängst, Dich gedanklich in Richtung Konsum zu bewegen. Wenn Du es aussitzen oder dem Craving entgegenwirken kannst, wird es schnell wieder von selbst vorbeigehen.

Nehmen wir an, Du wirst getriggert oder hast einen positiv besetzten Flashback - dies sind meine Tipps, um das darauffolgende Craving zu bekämpfen:

Erzähl jemandem davon, und zwar JETZT. Warte nicht auf später. Nimm das Telefon und ruf Deinen besten Freund/Deine beste Freundin an, jemandem dem Du mit dieser Sache vertraust. Leg Dir eine Liste mit den Telefonnummern der Leute aus Deiner Selbsthilfegruppe an und probiere alle Nummern durch, bis jemand rangeht. Sie werden sich sicher freuen, Dich unterstützen zu können.

Spiel die Erinnerung vorwärts ab bis zum bitteren Ende. Denk nicht nur an das Hochgefühl am Anfang, wenn Du draufkommst. Überspring das und spul die Erinnerung bis zum bitteren Ende vor. Erinnere Dich, wie Du Dich beim letzten Mal am Ende gefühlt hast. Erinnere Dich an die zwielichtigen Leute, mit denen Du die letzten Tage feiern warst. Erinnere Dich an die Verzweiflung und die Einsamkeit. Eine ehemalige Crystal-Abhängige erzählte mir, dass sie sich immer sofort die allerletzte Woche ihres Crystalkonsums ins Gedächtnis rief, sobald sie ans Konsumieren dachte oder ein Craving verspürte. Anstatt dieser euphorischen Gedanken hatte sie eine grauenhafte Erinnerung. Sich an diese letzte Woche und das Gefühl zu erinnern, war genug, um ihre Gedanken wieder in die richtigen Bahnen zu lenken.

Besuche so schnell wie möglich eine Selbsthilfegruppe. Warte nicht auf später. Geh zum nächsten Treffen. Setz Dich einfach ruhig dazu oder teile Deine Erlebnisse mit. Die Hauptsache ist, Dich so schnell wie möglich mit abstinenten Menschen zu umgeben. Falls es keine spezielle Crystal-Selbsthilfegruppe gibt, versuch es bei den Narcotics Anonymous (NA). Ich werde das Thema, wie diese Selbsthilfegruppen funktionieren, gleich in einem kompletten Kapitel behandeln. In den meisten Städten gibt es zumindest die Anonymen Alkoholiker (AA).

Surfe auf der Welle des Verlangens. Craving-Attacken sind wie der Wellengang des Ozeans. Sie schwellen auf dem Weg zur Küste an, erreichen schließlich den höchsten Punkt und gleiten dann sanft zurück. Eine gute Technik, gegen das Craving anzutreten, ist sich vorzustellen, man wäre ein Surfer oder eine Surferin, die auf dieser Welle reitet. Du lässt Dich nicht ins Craving fallen, sondern bleibst weiter auf der Oberfläche und reitest die Welle unter Dir. Bald wirst Du auf andere Gedanken kommen und in 60 bis 90 Sekunden bist Du schon vollkommen woanders. Stell Dir Dich selbst vor, wie Du auf dieser Welle surfst, bis sie bricht und wieder sanft zurückgleitet.

Bleib immer in Bewegung. Wenn Du den Moment durchhältst, wird das Verlangen zu konsumieren wieder vergehen. Bleib nicht sitzen und gib Dich diesem Gefühl/Craving hin. Steh auf und beweg Deine Beine. Beweg Dich körperlich und Du kommst auch emotional in Bewegung. Hier eine kurze Liste mit Dingen, die Deinen Kopf vom Craving ablenken: Geh ins Fitnessstudio, geh in ein Café, zwing Dich, mit einem oder einer Fremden zu sprechen, schau einen Film, spiel ein Videospiel, geh mit einer Freundin oder einem Freund tanzen, mach einen schnellen Spaziergang. Die Hauptsache ist aufzustehen, sich zu bewegen und sich mit einem neuen Verhalten abzulenken – nämlich die Beine zu bewegen – anstatt diesem Gefühl/Craving zu erlauben, sich wieder in das alte Verhaltensmuster des Konsumierens zu verwandeln.

Dies sind nur einige der vielen Möglichkeiten, dem Craving entgegenzuwirken. Das Hauptziel ist dabei immer, dem Craving den Weg abzuschneiden – unterbrich es mit einem gelernten, neuen Verhalten, bevor das Verlangen zu konsumieren Dich überwältigen kann.

Im nächsten Abschnitt beschäftigen wird uns mit Dingen die Du tun kannst, bevor es überhaupt erst dazu kommt, dass Du getriggert wirst. Ich nenne Dir Möglichkeiten, um Triggern aus dem Weg zu gehen und Craving-Attacken schon im Vorhinein zu minimieren.

Wechsle Deine Kontaktdaten und lösche Kontakte rund um den Konsum

Das wirklich Beste, was Du für Deinen Heilungsprozess machen kannst: Wechsle Deine Telefonnummer. Das Nächstbeste ist, Deine Email-Adresse zu ändern oder, falls Du einen separaten Account für Kontakte rund um den Konsum benutzt hast, lösche ihn. Du möchtest nicht, dass Deine alten Konsumfreunde noch die Möglichkeit haben Dich zu kontaktieren. Du möchtest sie und Dein altes Leben hinter Dir lassen.

Du wirst vielleicht denken, dass man alte Konsum-Kontakte (inklusive den Deines Dealers oder Deiner Dealerin) vor dem Aufhören löschen sollte. Und natürlich wäre das auch das Beste. Aber viele von uns können diese absolut notwendigen Dinge nicht tun, bis wir nicht wirklich mit der Entwöhnung angefangen haben. Darum liste ich dieses Thema hier in der zweiten Zeitspanne auf, also im Monat nach Deinem Entzug. Falls Du dies noch nicht gemacht hast: Tue es jetzt. Lösch all deine alten Kontakte rund um den Konsum: die Dealer und Dealerinnen, die Party-Bekanntschaften und Konsumfreundinnen - alle löschen, so dass Du sie nicht wieder abrufen kannst. Und vergiss nicht, auch die Nummern aus Deiner Anrufliste zu löschen.

Lösch auch Deine Social-Media-Accounts

Ganz einfach ist das natürlich mit Sex- und Dating-Seiten, Partychats usw.. Mein dringender Ratschlag ist, auch bei Facebook einen neuen Account zu erstellen und Dein jetziges Profil komplett zu löschen. Das gilt natürlich auch für Instagram und was Du sonst so nutzt. Diese Accounts hast Du wahrscheinlich längere Zeit während Deiner Konsumkarriere genutzt, sie werden in unterschiedlichem Ausmaß überfüllt sein mit Konsumbekanntschaften. Erstelle einen gänzlich neuen Account und schicke Freundesanfragen nur an Freundinnen und Freunde, die nicht konsumieren. Dann lösch all Deine alten Accounts. Wenn Du Deine Seiten nur stilllegst oder zum Beispiel lediglich Dein neues „Clean-Motto“ postest, führst Du Dich nur selbst aufs Glatteis. Zwar würden Dich konsumierende Freunde - nur vielleicht - nicht mehr anschreiben, Du würdest aber die „Freundesliste“ mit Deinen alten Freunden und Freundinnen ständig sehen und das willst du ja gerade nicht.

Falls es Dir mit dem Cleanwerden wirklich ernst ist, musst Du Deine alten Dating- und Party-Accounts löschen. Mach das nicht alleine. Am besten sitzt ein nüchterner Freund oder eine nüchterne Freundin neben Dir, wenn Du die Accounts löschst. Widersteh der Versuchung, nochmal kurz die letzten Emails oder Nachrichten zu checken, lösche einfach alle Accounts.

Natürlich kannst Du später, wenn Du schon ein paar Monate abstinent bist, oder wann auch immer Du fühlst es könnte der richtige Zeitpunkt sein, einen neuen Dating-Account als eine cleane Person erstellen. Vermerke in Deinem Profil, dass Du „absolut keinen Bock auf Drogen“ hast (oder dass Du Dich im Bezug auf Drogen „im Heilungsprozess“ befindest, ein abstinentes Leben führst oder begonnen hast - drücke es so aus, dass Du Dich damit wohl fühlst). Verordne Dir am besten in den ersten Monaten Deiner Abstinenz eine internetfreie Zeit.

Nichts kann eine Person schneller draufbringen als das Angebot, mit einer heißen Bekanntschaft feiern zu gehen. Also lass es erst gar nicht so weit kommen. Meide jegliche Social-Media-Formate, die sich mit Deinem Konsum kreuzen, und erstelle neue Accounts für Dein cleanes Leben mit Deinen cleanen Freunden und Freundinnen.

Eine alte Konsum-Freundschaft meldet sich bei Dir

Falls Du aus irgendwelchen Gründen Deine Nummer nicht wechseln kannst – und das müssen sehr gute Gründe sein – hier ein paar Dinge, die Du tun kannst:

Nimm bei unbekannten Nummern nicht ab. Antworte ab dem Zeitpunkt, an dem Du alle Kontakte rund um den Konsum gelöscht hast, nicht mehr auf Anrufe, bei denen nur die Nummer, nicht der Name angezeigt wird – vielleicht ist es ein alter Freund oder eine alte Freundin, der oder die noch konsumiert. Lass bei allen unbekannten Anrufen die Mailbox rangehen. Überprüfe Deine Anrufe.

Antworte mit einer SMS. Ein Freund oder eine Freundin, der oder die noch konsumiert, hinterlässt also eine Nachricht. Ruf besser nicht zurück und sprich mit ihm oder ihr, sondern schreib eine SMS. So etwas wie: „Ich geh nicht mehr feiern. War nicht so gut für meine Gesundheit. Wünsch Dir nur das Beste. Peace.“ Halt es kurz, nett und verlange keine Antwort.

Lösch am besten alle Deine ein- und ausgegangenen Anrufe und all Deine Nachrichten. Vergiss nicht, alle Anruflisten und Nachrichtenverläufe, die Du von konsumierenden Freunden oder Freundinnen erhalten hast, zu löschen. Achte sehr darauf. Du willst wahrscheinlich nicht, dass ihre Nummer irgendwo abgespeichert wird, wo Du sie später vielleicht wieder finden könntest. Lösche sowohl alle ein- als auch die ausgegangenen Anrufe und Nachrichten. Wenn Du denkst, Du musst diese Anruflisten und die Nachrichten nicht löschen, bereitest Du damit eigentlich schon den ersten Schritt zum Rückfall vor.

Ändere alte Verhaltensmuster und Abläufe

Alle Orte, an denen Du abgehangen hast, als Du noch konsumiert hast, sollten jetzt, wo Du clean bist vermieden werden. Finde ein neues Café, falls Du Deine Dealerin oder Deinen Dealer im alten immer getroffen hast. Wenn Du in einem Bundesstaat/Bundesland lebst, in dem Injektionsspritzen frei in der Apotheke erhältlich sind, geh zu einer anderen Apotheke, in der Du keine Nadeln gekauft hast. Läufst Du regelmäßig alten konsumierenden Kumpels im Supermarkt oder am Kiosk in die Arme? Dann ist es an der Zeit, diese Abläufe zu ändern. Fährst Du jedes Mal auf dem Weg zur Arbeit an einem Haus vorbei, in dem immer irgendwelche Partys waren? Dann fahr einen anderen Weg zur Arbeit, auch wenn das bedeutet, dass Du länger brauchst. Versuch alle alten Muster und Abläufe zu ändern, die ein Craving auslösen könnten.

Vielleicht hast Du immer einen bestimmten Radiosender gehört, wenn Du drauf warst. Ich konnte geschlagene zwei Monate keine Dance-Mixes hören, weil das meinen Kopf unmittelbar auf Konsum umschaltete.

Falls Du beim Feiern immer spezielle isotonische Getränke oder andere Sportdrinks zu Dir genommen hast, wechsle zu Marken, die Du vorher nicht getrunken hast oder zu gesünderen Alternativen wie Vitamin C- oder Kokosnusswasser. Meide auf jeden Fall den 24-Stunden-McDonalds, in dem Du immer was konsumiert hast. Geh zu einem anderen McDonalds (oder vielleicht gleich zu einem Ort, an dem Du Dich gesünder ernähren kannst). Du findest vielleicht, dass Du ganz schön viel an Deinen Tagesabläufen ändern musst. Aber das ist okay. Du änderst schließlich Dein Leben. Das ist keine kleine Sache.Es wird nicht immer so bleiben. Als ich in Los Angeles lebte, musste ich immer ein paar Mal die Woche am Haus meines Dealers vorbeifahren. Es gab einfach keinen anderen Weg. Ich war immer total aufgeregt, als ich mich der Kreuzung näherte und ich hielt den Atem an, wenn ich dann vorbeifuhr. Das ganze ging noch ungefähr vier Monate so, als ich schon abstinent war. Und dann, eines Sonntags aß ich mit ein paar Freunden in einem Restaurant Mittag, das genau um die Ecke lag, und ich merkte nicht mal, dass ich nur einen Block von der Wohnung meines Dealers entfernt war, bis ich zu meinem Auto zurücklief. Ich hatte eine ganze Stunde in ungefähr 100 Meter Luftlinie von dem Zimmer entfernt verbracht, in dem ich monatelang gekauft und konsumiert hatte – und nichts davon kam mir in den Sinn. Ich hab einfach Mittag gegessen und die Zeit mit meinen Freunden genossen. Du siehst also, Deine Trigger verändern sich und werden weniger mit der Zeit. Das ist die gute Nachricht.

Ziehe um oder richte Dich neu ein

Falls Du viel in Deiner Nachbarschaft konsumiert hast, zieh am besten so schnell wie möglich um. Und zieh nicht in eine Gegend, in der Du ebenfalls konsumiert hast. Das ist nicht der Sinn der Sache. Unterm Strich: Hast Du die Möglichkeit, von Deiner Konsumgegend wegzuziehen, dann tue es - in eine andere Wohnung, eine andere Gegend oder sogar eine andere Stadt.

Wenn Du Deine Wohnsituation nicht ändern kannst, ist das Nächstbeste die Wohnung neu einzurichten oder umzugestalten.

Das mit der Veränderung der Wohnung ist mein voller Ernst. Verändere vor allem Dein Schlafzimmer, wenn Du dort oft konsumiert hast. Gestalte Deine neue „ich-konsumiere-nicht-mehr“-Umgebung komplett anders als den Ort, an dem Du Crystal konsumiert hast. Ein neuer Farbanstrich, die Möbel umstellen, neue Bettwäsche – das alles bewirkt Wunder. Du versuchst damit, die Trigger zu vermindern, denen Du tagtäglich begegnest. Fang mit Deiner Wohnung an. Das ganze gilt auch für jeden anderen Ort, an dem Du mal konsumiert hast. Wenn Du in Deinem Büro auf der Arbeit konsumiert hast, verändere das Büro. Das Ziel ist, Dein Leben neu zu gestalten.

Finde eine Freundschaft, in der Du ehrlich sein kannst

Wenn Du getriggert wirst, ist eines der besten Dinge, die Du tun kannst, um dem entgegenzuwirken, es Dir selbst einzugestehen. Das bedeutet: Rede mit jemandem – beschreibe ihm oder ihr all die schmutzigen Details Deines Flashbacks, Deines Cravings oder Deiner Fantasie. Du wirst überrascht sein, wie sehr es die Macht eines Cravings über Dich vermindern wird, wenn Du es jemandem offenbarst. Für Deine Abstinenz ist es wesentlich, eine beste Freundin oder einen besten Freund zu finden, zu der oder dem Du komplett ehrlich sein kannst.

Wenn Du in einer Selbsthilfegruppe bist, wird diese Person Deine Betreuerin oder Dein Betreuer sein. Aber auch wenn Du Deiner Betreuerin oder Deinem Betreuer alles sagen kannst, ist es gut, noch eine andere abstinente Freundin oder einen anderen abstinenten Freund zu haben, mit der oder dem Du clean werden kannst. Je mehr abstinente Freundschaften Du hast, die Dich verstehen, umso besser. Wenn wir unser Verlangen zu konsumieren geheim halten, werden wir schneller wieder rückfällig.

Eines Abends kam mir aus dem Nichts in den Sinn, dass ich bei meinem nächsten Besuch in Los Angeles eine Nacht feiern gehen könnte, nur eine Nacht (schließlich war ich zu dem Zeitpunkt über sechs Monate clean gewesen, also hatte ich mir doch eine Belohnung verdient, oder?). Also plante ich innerhalb von zehn Sekunden, welche Lüge ich meinen Freunden und Freundinnen in Palm Springs auftischen würde, was ich meinen Leuten in L.A. erzählen würde, die dachten, ich komme sie besuchen, plante genau, auf welche Party ich gehen, bei wem ich den Stoff (online) kaufen und wie viel ich für eine Ration Crystal bezahlen würde. Wirklich. Innerhalb von ein paar Sekunden. Mein ruheloses Gehirn ratterte und malte sich die ganze Sache genau aus.

Innerhalb der nächsten zehn Sekunden wurde ich jedoch von Schuldgefühlen überrollt. Sofort dachte ich daran, wie schrecklich das Ende der Party sein würde, wie ich mich fühlen würde, wenn ich am nächsten Tag runterkomme – und dann fragte ich mich, wen ich da eigentlich veräppeln wollte? Ich war mein ganzes Leben lang noch nicht NUR FÜR EINE NACHT mit Crystal unterwegs gewesen. Mein gewöhnliches „Programm“ lag zwischen drei und fünf Tagen, am Ende meiner Konsumjahre immer bei mindestens fünf Tagen. Nein, sollte ich konsumieren, würde ich fünf Tage durchfeiern, dann für einen kurzen Moment runterkommen und mir einreden, dass wenn ich meine Nüchternheit eh schon verloren habe, ich auch noch etwas länger Party machen könne. Und so beginnt der Teufelskreis. Ich hätte wahrscheinlich ein weiteres Jahr vor mir oder schlimmer. Als ich mir diese Option gründlich durch den Kopf gehen ließ, wurde ich wieder entspannter, weil das Verlangen zu konsumieren, die plötzliche Fantasie, zerschmettert wurde. Ich wusste, was nun zu tun war.

Am nächsten Morgen nahm ich zwei cleane Freunde beiseite und gestand ihnen die ganze Geschichte. So konnte ich der Sache ihre Macht über mich rauben. Ich bin froh, dass ich es teilen konnte und nicht geheim gehalten habe. Schließlich teilte ich das noch in der gleichen Woche meiner Gruppe mit, um die Vorstellung noch mehr zu schwächen. Einen Freund oder eine Freundin oder auch mehrere davon zu haben und mit ihnen alles zu teilen, ist ausschlaggebend um nüchtern zu bleiben. Weil wir lernen müssen, uns nicht zu schämen, wenn unsere Krankheit ihren hässlichen Kopf hebt. Es ist keine Charakterschwäche, getriggert zu werden oder sich in einer Konsum-Fantasie zu verlieren. Das ist das, was das Gehirn eines Abhängigen oder einer Abhängigen macht - nach mehr Drogen verlangen.

Wie wir mit dem Craving umgehen, ist der Schlüssel. Sprich mit jemandem darüber, das nimmt Deiner Krankheit die Power.

Die 10-Sekunden-Rede für Dein NEIN

Leute, die mit ihrer Geschäftsidee oder ihrem Drehbuch groß rauskommen wollen, üben häufig eine sogenannte Fahrstuhl-Rede (Elevator-Pitch) ein. So kann man kurz, prägnant und gut einstudiert seine Idee schildern, wenn es der Zufall so will, dass man in einem Fahrstuhl auf eine einflussreiche Person trifft. Mach Dir diesen Trick zu Nutze, um in jeder Situation - ohne jedesmal nachdenken zu müssen - Dein NEIN zum Konsum klarzustellen.

Für Dich ist so eine 10-Sekunden-Rede der „Elevator Pitch“ die gut eingeübte Antwort, wenn Dich jemand auf Crystal einlädt. Das trifft für gewöhnlich auf die Leute aus Deiner Konsumzeit zu, denen Du vielleicht auf der Straße begegnest, im Supermarkt, im Internet, oder eben auch in einem Aufzug.

Wann immer Du gefragt wirst, ob Du feiern gehen willst, liefere sofort Deinen „Elevator Pitch“ ab, ohne zu zögern. Hier ein paar Beispiele, um Dir Deinen eigenen Spruch zu basteln:

„Nein, danke. Ich bin aus der Nummer raus. Crystal hat fast mein Leben zerstört. Also nochmals, nein.“ „Nein. Ich hab wirklich ein Problem mit Crystal und ich hab entschieden aufzuhören. Als meine Freundin wirst Du das bestimmt verstehen. Also sprich bitte nicht mehr mit mir darüber.“ „Nein, danke. Crystal hat wirklich meine Gesundheit zerstört. Ich ziehe mir nichts mehr rein. Das Kapitel in meinem Leben ist einfach komplett durch für mich.“

Überlege Dir Deinen eigenen „Elevator Pitch“ und lerne ihn auswendig. Dann musst Du Deinen Spruch einüben, damit Du ihn konsequent und ohne Zurückhaltung rüberbringen kannst. Üben, üben, üben. Stell Dir verschiedene Szenarien vor, bei denen Dich jemand fragt, ob Du mit ihm oder ihr konsumieren willst, und dann trainiere Deinen Spruch. Das ist eine tolle Übung, die Du mit Deinen cleanen Freunden und Freundinnen machen kannst. Macht Rollenspiele und wechselt gegenseitig die Rollen, bei denen ihr so tut, als seid ihr Eure Lieblings-Dealerin, die ihr zufälligerweise beim Getränkeregal im Supermarkt trefft. Fragt euch gegenseitig, ob ihr nicht doch konsumieren wollt, und dann trainiert Eure Antwort. Werdet richtig gut in Eurer „Nein, danke“-Nummer.

Falls es also zu der Situation kommt, dass Dir jemand Crystal anbietet, kannst Du augenblicklich Deine gut einstudierte Aufzug-Rede runterrattern. Und dann raus aus diesem „Aufzug“, und zwar so schnell wie möglich!

Nutze Hilfsangebote

Informiere Dich über die unterschiedlichen Beratungs- und Behandlungsangebote, die Du in Anspruch nehmen kannst. Ich habe es an anderer Stelle schonmal geschrieben, ich empfehle Dir jede Hilfe in Anspruch zu nehmen die Du bekommen kannst. Das gilt auch für diese Phase Deines Heilungsprozesses. Eine Suchtberatung oder eine ärztliche oder psychologische, auf den Schwerpunkt Sucht spezialisierte Hilfe kann eine ganz wertvolle Unterstützung sein.

Allerdings sind jetzt solche Beratungs- und Behandlungsangebote für Dich interessant, die Dich konkret mit den jetzt akuten Problemen Deiner Suchterkrankung unterstützen, also die Dir bei der Rückfallvermeidung helfen und damit, wie Du Trigger vermeidest und mit Deinem Craving umgehst.

In Deiner jetzigen Phase ist es erstmal nicht so wichtig, dass Du Dir eine komplexe Psychotherapie suchst, die sich mit Deiner Persönlichkeitsstruktur und Deiner Kindheit auseinandersetzt - es sei denn, Du machst schon solch eine Therapie oder Beratung, dann machst Du die natürlich weiter.

Nach meiner Meinung ist es jetzt gerade wichtiger, sich mehr auf Fähigkeiten zu konzentrieren, die Dich vor einem Rückfall bewahren können. Während es auf lange Sicht wichtig sein kann, Deine schwierige Kindheit zu verstehen, ist dies jetzt gerade eher nicht so hilfreich, sondern vielleicht sogar eher schädlich, weil dabei mehr hochkommen kann, als Du jetzt in dieser Phase gebrauchen kannst.

In den ersten Monaten des Heilungsprozesses brauchst Du keinen zusätzlichen Stress, der mit einer tiefgründigen, erforschenden Therapie einhergeht. Deine jetzige Aufgabe besteht darin, mit Crystal aufzuhören und zu lernen, clean zu bleiben. Und glaub mir, das reicht fürs Erste. Spar Dir die tieferen Nachforschungen für später auf.

Idealerweise findest Du eine Drogenberaterin oder einen Therapeuten, die oder der bereits Erfahrungen mit Crystal-Userinnen und -Usern hat. Aber falls es niemanden in Deiner Gegend gibt, kann ein allgemeiner Drogenberater oder eine allgemeine Drogenberaterin sicher auch hilfreich für Dich sein. Die grundlegenden Probleme einer Abhängigkeit sind immer die gleichen, es kommt nicht auf die Droge an. Zum jetzigen Zeitpunkt brauchst Du jemanden an Deiner Seite, die oder der abhängiges Verhalten versteht und Dir dabei behilflich ist, dieses zu überwinden.

Der Unterschied zwischen einer Suchtberaterin und einem Psychotherapeuten ist: Ein Berater oder eine Beraterin wird Dir sagen, was Du am besten tun kannst; ein Therapeut oder eine Therapeutin wird Dir eher zuhören. In dieser Phase Deines Heilungsprozesses brauchst Du aber vielleicht etwas mehr konkrete Tipps was du tun sollst. Falls Du jedoch eher nach einer Therapie anstelle einer Drogenberatung suchst, empfehle ich Dir, eine Therapeutin oder einen Therapeuten zu suchen, die oder der sich schwerpunktmäßig auf Drogenentwöhnung spezialisiert hat.

Für mich der wichtigste Grund, sich von einem Suchtberater unterstützen zu lassen: In Deinen Konsumzeiten hattest Du wahrscheinlich kaum gesunde Gewohnheiten und kaum Tagestruktur. In dieser Phase Deines Heilungsprozesses geht es darum, wieder gute Gewohnheiten und eine Struktur in Dein Leben zu bekommen. Genau hier können Dir Suchtberater helfen und mit Dir zusammen herausfinden, wie Du vorgehen kannst und was für Dich am Besten passt.

Besuche eine Selbsthilfegruppe

Eine großartige Möglichkeit, die Dir helfen kann, clean zu bleiben ist zu einer Selbsthilfegruppe für Crystalabhängige zu gehen. Ich habe von mehr als einem entwöhnendem Abhängigen gehört, dass sie sich in ihren ersten paar Wochen überhaupt nur während dieser Treffen innerlich ruhig gefühlt haben. Nur dann hat es aufgehört, in ihrem Kopf zu rasen. In den ersten Wochen des Heilungsprozesses wirst Du vielleicht genau diesen beruhigenden Effekt wahrnehmen, den Dir solche Treffen bieten können.

Im nächsten Kapitel geht es ausschließlich um Selbsthilfegruppen, ich werde über die Vorzüge aber auch möglichen Probleme solcher Treffen schreiben. Ich lade Dich dazu ein, Dich ganz offen und ohne Vorurteile mit diesem Thema zu beschäftigen und dann für Dich selbst zu entscheiden, was für Dich hilfreich sein kann und was eher nicht.

Gönne Dir einen Zahnarzttermin

Zum Abschluss: Ein Zahnarzttermin ist eines der wichtigsten Geschenke, das Du Dir selbst machen kannst, wenn Du abstinent bist. Als Crystal-Abhängige haben wir normalerweise eine schlechte Zahngesundheit. Beim Zahnarzt gibt es oft Wartezeiten auf einen Termin, deshalb: Kümmere Dich jetzt gleich darum. Ruf an und mache einen Termin aus.

Kapitel 4: Selbsthilfe-Meetings

Die einfache Wahrheit: Es ist leichter aufzuhören, wenn Du Unterstützung hast. Es ist schwieriger, wenn Du allein bist. Und es ist verdammt noch mal fast unmöglich, wenn das Umfeld Deinen Konsum fördert, anstatt Dich beim Aufhören zu unterstützen.

Geh zu Deinem ersten Meeting und freue Dich über Deinen Neulings-Chip und Deine Unterstützerin.

Theo, 15 Jahre clean

Man sagt, wer kein Meeting auslässt, der schafft es. Ich habe das lange nicht so ganz ernst genommen. Tatsächlich habe ich aber im letzten Jahr vier Mitglieder erlebt, die rückfällig geworden sind - und die waren alle schon über fünf Jahre abstinent. Und bei allen war es so, dass sie immer öfter Meetings ausgelassen haben. Sie waren wohl so glücklich über ihren Erfolg, dass sie nachlässig wurden. Selbsthilfe-Treffen hatten keine Priorität mehr für sie ... .

Deborah, 8 Jahre clean

Es war okay dort, um Hilfe zu bitten. Hätte nie zu träumen gewagt, dass ich sowas mal tue. In der Gruppe kannst Du um Hilfe bitten. Wenn nicht dort, wo sonst?

Carol, 7 Jahre clean

Warum diese Meetings?

Vorteile von Meetings

Immer regelmäßig am selben Wochentag stattfindende Selbsthilfegruppen-Treffen - wir nennen sie schlicht Meetings - das kommt Dir vielleicht ziemlich komisch vor? Du bist vielleicht gar nicht der Typ, der ständig Leute um sich herum haben will oder ständig Anschluss sucht. Das ist aber völlig egal, darum geht es gar nicht. Du musst kein "gesellschaft-suchender" Typ sein, um von Selbsthilfegruppen wie den "Anonymen Crystal-Abhängigen" (abgekürzt: CMA) zu profitieren. Ich gebe Dir ein paar gute Argumente:

Du wirst echte Menschen um Dich herum haben, die erfolgreich mit Crystal Meth aufhören. Das macht es für Dich erlebbar und greifbar, dass Aufhören für Dich möglich ist. Es ist nicht irgendetwas Fernes in der Theorie, es ist Realität. Und was ich Dir versichern kann: Wenn mein Text irgendwelche Fragen von Dir offen lässt, dann wirst Du mit Sicherheit bei den Meetings Leute kennenlernen, die Dir Deine Fragen beantworten können.

Meetings sind großartige Gelegenheiten, neue cleane Freunde zu finden, mit denen Du etwas anfangen kannst. Wo sonst bist Du in einem Raum voller Leute, die sich wie Du auf dem Weg der Heilung befinden und die genau das gleiche Ziel haben wie Du? Die sonstigen, konsumierenden Leute, die Du kennst, sind ja typische Trigger und häufig Auslöser von Suchtdruck. Die neuen Leute, die Du hier um Dich hast, sollten Dir eine großartige Unterstützung bieten.

Du kannst zu vielen Sachen einfach mal frei sprechen. Gedanken und Gefühle zum Konsum und zur Heilung behält man ja sonst meist in seinem tiefsten Inneren. Bei den Meetings wirst Du ganz oft feststellen, dass da jemand ist, der gerade genau dasselbe durchmacht wie Du. Das können Dinge sein, wie etwa Schuldgefühle, wenn man mal wieder vom Konsum träumt. Das tut gut, wenn Du dann merkst, dass Du nicht alleine bist. Was auch genial ist: Man muss es einfach mal erlebt haben, wie es ist, wenn man laut ausspricht, welche Impulse einen quälen. Und um was die eigenen Gedanken immerzu kreisen. Das nimmt Deiner Krankheit ein wenig von der Macht, die sie über Dich hat. Deine Crystal-Abhängigkeit will nämlich, dass Du viele Geheimnisse mit Dir rumschleppst. Dieses Reden und diese Offenheit bei den Meetings stösst allerdings viele Neulinge ab, weil sie es als beängstigend, nervig oder peinlich empfinden. Aber Du hast jetzt erfahren, wofür dieses freie Reden da ist, welchen Zweck es hat. Du musst also nicht in diese Falle laufen und Dich abschrecken lassen.

Wenn Du ein Anliegen hast, über das Du reden möchtest, dann schnapp Dir jemanden am Ende des Meetings. Idealerweise sollte es jemand sein, der oder die schon etwas mehr Erfahrung mit dem abstinenten Leben hat als Du. Geh einfach hin und sage zum Beispiel: "Du, ich habe da ein Problem, würdest Du zuhören oder mit mir darüber reden?"" In den allermeisten Fällen wird der- oder diejenige sich freuen, Dich unterstützen zu dürfen.

Probleme von Meetings

Es ist zwar sehr selten, aber bei einem Meeting kann grundsätzlich dasselbe passieren, was Dir immer mit frisch clean gewordenen Ex-Konsumenten passieren kann: Nämlich, dass Dich doch jemand wieder zum Konsum verleitet. Mir selbst hat in all den Jahren noch nie jemand auf einem Meeting Crystal angeboten. Aber ich weiss von anderen, dass es passieren kann. Wenn so etwas in solch einem eigentlich geschützten Rahmen passiert, ist das übel, weil man dort besonders verletzlich ist. Wie gesagt, es wird Dir wahrscheinlich niemals passieren, aber dieses Risiko ist das kleine "dunkle Geheimnis", dass wir hier mal ansprechen müssen. Ein Meeting soll eine Art heiligen Raum darstellen, aber wir alle wissen, dass Raubtiere überall lauern können. Es sind in den USA Fälle bekannt geworden, bei denen Dealer auf Meetings nach neuen Kunden gesucht haben. Letztlich ist es einfach gut, immer ein klein wenig wachsam zu sein. Ein Meeting stellt Dir - sinnbildlich - einen Raum voller Möglichkeiten, Unterstützung und guten Menschen zu Verfügung. Aber wir alle sind eben Menschen, und zwar kämpfende und abhängige Menschen. Behalte dies einfach im Hinterkopf.

Die weiteren Probleme sind im Vergleich dazu weit weniger schlimm. So berichten Neulinge manchmal, dass sie sich ausgeschlossen fühlen, weil sich alle anderen im Raum schon zu kennen scheinen. Sie begrüßen sich, umarmem sich und rufen sich mit ihrem Namen ... und Du stehst vielleicht blöd daneben. Das ist nicht die Regel. Meist wird jemand auf Dich zu gehen. Aber manchmal läuft es am Anfang nicht so reibungslos, dann kann es schon eine Herausforderung sein. Und wenn Du dazu noch extrem schüchtern und unsicher bist, dann ist es umso mehr schwierig. Schwierig ... aber nicht unmöglich. Es ist immer möglich und Du kannst es schaffen. Und diese Schwierigkeit besteht - wenn überhaupt - nur am Anfang. Sobald Du Dich einmal vorgestellt hast, dann bist Du Teil des Ganzen, dann stehst Du nicht mehr außen vor.

Manche Neulinge sagen, dass sie von den Meetings depressiv werden, weil so viel "gejammert" wird. Naja, man wird immer etwas finden, was man an einem Meeting auszusetzen hat: Die Leute sind zu dumm, zu klug, zu esoterisch, zu arrogant, es sind alles nur "Alkis", sie reden zu viel, sie reden zu lang, sie reden nur über sich, sie reden zu wenig, sie sind zu tolerant, sie sind zu wenig tolerant, es sind zu viele Leute, es sind zu wenige Leute, sie passen nicht zum eigenen Alter usw.. Hier kann es hilfreich sein, sich mal wieder vor Augen zu führen, dass man eine von diesen ganz seltenen Krankheiten hat, die einen glauben lassen, dass man gar nicht krank ist. Du kannst davon ausgehen, dass bei solchen Zweifeln Deine Suchterkrankung immer "mit am Werk" ist und Dir irgendwelche Rechtfertigungen liefert, warum Du gar nicht "hierher gehörst".

Behalte in Erinnerung, dass Deine Suchterkrankung über solche Gedanken und alle möglichen anderen Ausreden Dir immer wieder dazwischen funken will. Es gibt sogar einen typischen Ablauf, den viele in ganz ähnlicher Weise bei sich beobachten. Erst wird Dir Deine Sucht alle möglichen Argumente liefern, warum Du nicht zu Meetings gehen sollst, schliesslich geht es Dir ja besser und Du brauchst das gar nicht mehr und es zieht Dich nur runter usw.. Darauf folgen dann meist solch "tolle Ideen" wie: "Jetzt, wo ich die Sucht überwunden habe und weiß wie schlimm man abstürzen kann, bin ich schlauer und es wird nie wieder so weit kommen. Jetzt kann ich sogar - natürlich nur selten und am Wochenende - mal wieder ein bisschen konsumieren, jetzt bin ich ja klüger als vorher."

Nun habe ich Dir sehr viel über die Tricks Deiner Suchterkrankung verraten. Lass sie Dich nicht in ihren fiesen Hinterhalt locken. Und lass sie Dich nicht davon abbringen, Selbsthilfe-Meetings zu besuchen.

Arten von Selbsthilfegruppen

Bisher habe ich von den "Anonymen Crystal-Abhängigen" (Abkürzung: CMA) geschrieben, ein übliches System in den USA, was es aber mittlerweile auch in deutschen Großstädten gibt. Auf der Webseite https://crystalmeth.org/cma-meetings/cma-meetings-directory.html könnt Ihr unter "Germany" schauen, welche CMA-Gruppen registriert sind. CMA-Gruppen folgen dem Konzept der 12-Schritte-Programme, mehr dazu später. In Deutschland und anderen Ländern gibt es aber auch viele Selbsthilfegruppen für Crystal-Abhängige, die ein etwas anderes Konzept haben, aber für die das, was ich hier über Selbsthilfegruppen schreibe, in fast allen Punkten genau so zutrifft. Ihr findet Links zu regionalen und überregionalen Such-Seiten im Info-Bereich von Breaking-Meth oder Ihr könnt im Portal nachfragen und Erfahrungen austauschen.

Es kann auch gute Gründe geben, Selbsthilfegruppen zu besuchen, die sich nicht (ausschließlich) an Crystal-Kosumenten richten. Ein Grund wäre zum Beispiel, dass es in Deiner Region nichts Crystal-Spezifisches gibt. Oder Du merkst, wenn Du Dir verschiedene Gruppen anschaust, dass Du Dich in einer anderen Gruppe einfach besser aufgehoben fühlst. Manche steigen auch lieber zunächst in eine allgemeine Sucht-Selbsthilfegruppe ein - weil sie sich anfänglich von den Crystal-Betroffenen angetriggert fühlen - wechseln dann später aber in eine Crystal-Gruppe. Dies übrigens auch noch mal, damit Du Dir nicht die Ausreden zu eigen machst, die Dir Deine Suchterkrankung vorbetet: Nämlich, dass es bei Dir in der Gegend so etwas nicht gibt und Du deshalb an keinen Meetings teilnehmen kannst. Wenn Du Dich etwas anstrengst, wirst Du überall eine Selbsthilfegruppe finden, zu deren Meetings Du gehen kannst. Selbsthilfe ist gut, Isolation ist schlecht - so einfach kann man sich das auch merken. Die meisten cleanen Crystal-Abhängigen werden Dir bestätigen, wie enorm wichtig irgend eine Art von Selbsthilfegruppe war. Manche haben auch die Treffen der "Anonymen Alkoholiker" genutzt und für sich selbst einfach das Wort "Alkohol" gegen "Crystal" im Kopf ausgetauscht.

Lass Dich also nicht von irgendwelchen Ausreden, vielleicht ersten nicht so guten Erlebnissen oder dem scheinbaren Fehlen von geeigneten Gruppen abhalten. Such Dir eine Gruppe, so früh wie möglich, und auch wenn es am Anfang mit einigen Frustrationen verbunden ist. Sehr bald werden Dich die Meetings immer wieder in Deinem Wissen bestärken, dass Du nicht alleien bist.

Was Du erwarten musst

"Hallo, ich bin X und ich bin Crystal-abhängig."

Wenn man sich in Gruppen wie bei den CMA bei jedem Meeting vorstellt, wird sich das immer so oder ähnlich anhören: "Hallo, ich bin X und ich bin Crystal-abhängig". Je nachdem, was Dich gerade beschäftigt, sind entsprechende Abweichungen möglich. Du kannst zum Beispiel sagen, "Hallo, ich bin X und bin süchtig", wenn es Dir gerade generell um Deine verschiedenen Substanz-Abhängigkeiten geht. Oder Du kannst sagen, "..., und ich bin eine Junky", wenn das gerade der Begriff ist, den Du verwenden willst. Zu viel Gerede für Dich? Wie wäre es mit "Kristin, abhängig", das reicht auch. Es ist üblich, dass der jeweilige - selbst auch abhängige - Leiter des Meetings beginnt und die Vorstellungsrunde dann im Raum weiter geht.

Du bist bereit, Dich so vorzustellen? Dann erfüllst Du die Voraussetzung für die Teilnahme an einem Meeting einer Selbsthilfegruppe nach dem 12-Schritte-Konzept. Die einzige weitere Voraussetzung: Du bringst den Willen mit, mit dem Crystal-Konsum aufzuhören. Mehr wird nicht von Dir verlangt. Punkt.

Wenn Du es am Anfang oder wann auch immer nicht schaffst, alleine zu einem Treffen zu gehen, dann kannst Du einen Freund oder eine Freundin mitbringen. Deine Freundin oder Dein Freund muss sich auch vorstellen, muss sich aber nicht als "Crystal-abhängig" vorstellen (egal ob sie oder er abhängig ist oder nicht oder überhaupt Crystal-Erfahrungen hat). Er oder sie sagt dann zum Beispiel einfach: "Hallo, ich bin Wolfgang und ich helfe Kristin".

Das 12-Schritte-Meeting

Die meisten der Meetings dauern etwa eine Stunde und folgen alle einen ähnlichen Ablauf. Es beginnt damit, dass die jeweilige Leiterin bzw. der Leiter (jedesmal ein anderer) sich vorstellt: "Hallo, ich bin X und ich bin Crystal-abhängig" - das kennt Ihr schon. Dann antwortet die Gruppe: "Hallo X" - alle gleichzeitig.

Die 12-Schritte-Programme haben eine Reihe von Ritualen entwickelt. Diese haben sich einfach bei ganz unterschiedlichen Typen von Menschen bewährt. Ich lade Dich ein, diesen Ritualen für Dich eine Chance zu geben. Sie schaffen Routine, Gemeinsamkeit, Struktur und Selbstvertrauen. Zum Beispiel beginnen manche Meetings in den USA damit, dass die Leiterin oder der Leiter in die Gruppe fragt, wer sich denn eingesteht, dass er Crystal-abhängig ist. Und dann melden sich natürlich alle, einschließlich der Leiterin. Ich mag speziell dieses Ritual ganz gerne, weil man hier mal nichts sagen muss, sondern einfach die Hand hebt.

Dies kommt Dir vielleicht komisch vor? Nun, hier ist die Erklärung für dieses Ritual: Es geht darum, wieder und wieder zu erleben, wie befreiend es ist, sich seine Krankheit einzugestehen. Deshalb nennen manche dieses Ritual auch "Gelassenheits-Meditation". Ihr erinnert Euch noch, dass ich unsere Suchterkrankung gerne personalisiere. Die Suchterkrankung will einfach nicht, dass wir uns die Krankheit ehrlich eingestehen. Sie liebt es, wenn wir ständig mit kleineren oder größeren Lügen herum laufen. Wenn wir uns solch ein Ritual einrichten, indem wir uns ein- oder zweimal pro Woche - komme was wolle - gemeinsam eingestehen, dass wir suchtkrank sind, dann nehmen wir der Krankheit ihre Kraft. Es ist wie ein- oder zweimal die Woche ein Medikament einzunehmen. Das schafft Gelassenheit.

Ein weiteres Ritual bei Gruppentreffen kann sein, dass sich jemand bereit erklärt, einen Text aus dem 12-Schritte-Programm auszuwählen, um ihn dann der Gruppe vorzulesen und seine eigenen Gedanken oder Fragen dazu zu schildern. Dazu haben manche Gruppen bestimmte Texte und Inhalte ausgedruckt und laminiert vorliegen. Dies können zum Beispiel die 12-Schritte selbst sein. Du kannst sie auf deutsch bei Wikipedia anschauen (Zum 12-Schritte-Programm). Es ist nicht verpflichtend, dass Du selbst etwas vorträgst. Wenn Dich jemand fragt, kannst Du jederzeit ablehnen.

Das nun folgende Spenden-Ritual ergibt sich aus der Tradition, dass 12-Schritte-Meetings sich selbst finanzieren sollen. Es geht also ein Korb rum. Üblich sind kleine Beträge. Ein Euro reicht völlig, damit für das nächste Meeting Kaffee und Kekse gekauft werden können. Und es ist auch in Ordnung, wenn Du den Korb einfach weiter gibst. Manche Abhängige fahren am Tag zu mehreren Veranstaltungen, kaufen Bustickets usw.. Wie gesagt, keiner beurteilt Dich negativ, wenn Du nicht immer einen Euro hast. Zusammen mit diesem Spenden-Ritual werden auch Formalia erledigt. Wenn Du zum Beispiel eine Teilnahmebestätigung aufgrund einer gerichtlichen Auflage brauchst, dann legst Du es einfach gleich mit in den Korb, und der Leiter (oder wer auch immer in der Gruppe dafür zuständig ist) wird dies dann am Ende des Meetings unterschreiben.

Ein zentrales Element aller Meetings ist die Zeitspanne, in der ein Mitglied oder auch mehrere Mitglieder die eigene Geschichte erzählen. Meist ist festgelegt, wie lange die Redezeit beträgt, in der Regel 5-10 Minuten. Danach ist Zeit für Fragen und Anmerkungen und für eine generelle Diskussion.

Für manche ist das "Treffen nach dem Treffen" das Wichtigste am gesamten Meeting. Natürlich steht man nach dem formalen Teil noch gemeinsam rum, man unterhält sich mit wem man will und pflegt Freundschaften. Oder alle gehen gemeinsam noch auf eine Pizza.

Dies war mal ein erster Eindruck für Dich, wie bei uns in den USA 12-Schritte-Meetings ablaufen. Wenn es 12-Schritte-Programme in Deiner Gegend gibt, werden sie sicherlich ein bisschen anders ablaufen. Oder Du findest eine Gruppe, die nicht nach diesem Prinzip funktioniert. Trotzdem bin ich fast sicher, dass Du die meisten der hier erwähnten Elemente in der einen oder der anderen Form in jeder Selbsthilfegruppe finden wirst.

Immer neue kluge Sprüche

Bei den Meetings von Selbsthilfegruppen wirst Du immer wieder von irgend jemanden Merksätze und Ratschläge hören: "Geh einen Schritt nach dem anderen", "Was andere über Dich denken kümmert nicht" und so weiter. Oft erscheinen diese Ratschläge extrem vereinfacht und unpassend für eine seriöse Selbsthilfegruppe. Ich erinnere mich noch, wie ich am Anfang genervt war von diesem scheinbar roboterhaftem Herunterbeten von immer den gleichen für mich zunächst nichtssagenden Parolen. Es erschien mir wir die Parodie einer Selbsthilfegruppe, mit all den dazu gehörigen Clichés.

Aber es ist folgendermaßen: Ob es Dir gefällt oder nicht, in diesen einfachen Ratschlägen steckt für jeden Einzelnen von uns eine ganze Menge Wahrheit. Kurze einprägsame Sätze sind gut für Dich, auch wenn sie nicht Deiner vollen Individualität gerecht werden.

Stell Dich also auch auf einfache und scheinbar oberflächliche Ratschläge ein, die Dir jemand gibt, der Dich kaum kennt. Versuche, nicht den Ratgeber zu beurteilen, sondern die mögliche tiefere Bedeutung des Spruchs oder Merksatzes für Dich zu ergründen. Du wirst sehen, manchmal stecken sehr mächtige Wahrheiten in scheinbar banalen Ratschlägen.

Und wenn ich selbst nichts sagen will?

Nach meiner Erfahrung kommt in der Selbsthilfegruppe für jede und jeden der Punkt, an dem man sich - in welchem Rahmen auch immer - einer anderen Person oder auch einer Gruppe gegenüber offenbaren will. Und Du wirst es lieben, diesen Moment.

Aber es ist immer Dein Recht, Dich nicht einzubringen. Wenn Dich jemand bittet, über Deine Situation zu sprechen, kannst Du jederzeit sagen, dass Du es nicht möchtest. Man hört häufig "Ich bin neu hier und möchte erstmal nur zuhören" oder "Ich möchte heute mal nichts sagen". Dies ist ein Grundprinzip der 12-Schritte-Programme und dies wird mit Sicherheit in allen Selbsthilfegruppen akzeptiert. Keiner wird Dich dafür negativ beurteilen.

Die Clean-Zeit

Bei ein paar Meetings die ich kenne (definitiv der kleinere Teil), wird bei der Vorstellung immer gesagt, wie lange man schon clean ist. Der Zweck davon ist, den "Neulingen" zu zeigen, dass es möglich ist, dauerhaft clean zu werden. Du wirst Leute hören, die sechs Jahre clean sind und trotzdem regelmäßig an den Meetings teilnehmen. Wenn Du selbst noch bei unter 30 Tagen bist, wirst Du häufig mit Applaus begrüßt. Die Leute wollen Dir damit zu Deinem Entschluss gratulieren, ein cleanes Leben führen zu wollen, und auch dazu, dass Du es ernsthaft angepackt hast und den Weg in die Selbsthilfegruppe gefunden hast. Die 30 Tage spielen eine große Rolle bei den Crystal Meth Anonymous (CMA). Nach 30 Tagen bekommst Du nämlich Deinen Neulings-Chip, ein weiteres wichtiges Ritual bei 12-Schritte-Gruppen.

Wenn Du Deine Clean-Zeit nicht nennen willst, kann das unterschiedliche Gründe haben. Vielleicht fühlst Du Dich von Deiner Stimmungslage her gerade so, dass Du dies anderen nicht mitteilen willst. Oder Du bist neu oder hattest gerade einen Rückfall. Dann sag einfach: "Ich bin heute clean". Man wird Dich nicht danach beurteilen oder lange analysieren, was in Dir vorgeht. Ich kenne in den USA einige seit vielen Jahren cleane Typen, die jedes mal sagen: "Ich bin heute clean". Vielleicht liegt es ihnen mehr am Herzen, jeden einzelnen cleanen Tag als Herausforderung zu sehen, als die geschafften Tage und Jahre zu zählen. Also mache Dir da keinen Stress. Und außerdem sind solche Selbsthilfegruppen, bei denen man jedesmal die Clean-Zeit nennen soll, eher die Ausnahme.

Was sind denn die 12 Schritte?

Die "12 Schritte" sind der Kern eines Selbsthilfe-Programmes, das in den 1930er Jahren für Alkoholabhängige entwickelt wurde. So entstanden zunächst die "Anonymen Alkoholiker". Das Wort "anonym" (englisch: anonymous) findet sich auch in später weiterentwickelten 12-Schritte-Programmen der "Narcotics Anonymous" (Anonyme Drogenabhängige) und eben speziell der "Crystal Meth Anonymous" (CMA).

Über die 12 Schritte wurden mittlerweile so viele Bücher geschrieben, dass man damit ganze Regale füllen könnte. Ich müsste ein zweites, doppelt so dickes Buch schreiben, um die ganze Philosophie zu veranschaulichen. Das ist aber gar nicht nötig und auch nicht Ziel dieses Buches. Das Gute ist: Du brauchst Dir dazu kein Wissen anzulesen. Denn: Das 12-Schritte-Programm sieht vor, dass ein neues Mitglied seine(n) persönliche(n) Unterstützer/Unterstützerin bekommt (auch Betreuer/Betreuerin genannt oder auf Englisch "Sponsor"). Deine Betreuerin bzw. Dein Betreuer hat die 12 Schritte bereits selbst - wiederum von ihrer Betreuerin - erlernt und durch Erfahrung verinnerlicht. Er oder sie wird sie mit Dir durchgehen, Schritt für Schritt.

An einer bestimmten Stelle (mehr würde hier absolut zu weit führen) wirst Du Dich in einem 12-Schritte-Programm mit der Frage beschäftigen, ob Du weiter kommst, wenn Du nicht ein Ur-Vertrauen entwickelst und kultivierst, das Deinem Leben und Deinem Heilungsprozess einen Sinn gibt. In den 12 Schritten ist vom "Glauben an eine höhere Macht" die Rede. Tatsächlich wurde in den ursprünglichen Formulierungen des 12-Schritte-Programmes an dieser Stelle von Gott gesprochen. Um alternative Glaubenssysteme zu ermöglichen und auch Menschen zu erreichen, die nicht religiös/gläubig sind, wird heute in den 12-Schritte-Programmen eher von einer höheren Macht gesprochen.

Die "12 Schritte" haben seit den 1930er Jahren für Tausende, wenn nicht für Millionen von Suchtkranken funktioniert. Sie können auch für Dich funktionieren. Die "12 Schritte" sollen für Dich eine Transformation Deines jetzigen Lebens und eine Erweiterung Deiner Persönlichkeit bewirken, kraftvoll genug, um Dein süchtiges Leben in ein absolut Crystal-freies und erfülltes Leben zu verwandeln. Das einzige, was Du dafür brauchst, ist der Wille und die Offenheit, etwas Neues zu beginnen.

Keine Angst: Du brauchst Dich mit all dem nicht zu beschäftigen, wenn Du anfängst, zu 12-Schritte-Meetings zu gehen. Du kannst einfach erstmal mitmachen und zuhören. Und wie gesagt, Du musst nichts über Dich erzählen, solange Du nicht dafür bereit bist. Lass Dir von den Teilnehmern über die 12 Schritte erzählen. Und wenn Du diesen Weg für Dich probieren willst, dann wird sich eine Unterstützerin bzw. ein Unterstützer für Dich finden, der Dich begleitet.

Wie findet man "seine" Gruppe?

Wer zu Gruppen-Meetings geht, hat normalerweise seine "Stammgruppe", bei der er oder sie kein Meeting auslässt. Für manche oder manchen ist dies die erste Gruppe, die man kennengelernt hat. Andere wiederum brauchen eine Weile, bis sie ihre optimale Gruppe gefunden haben. Es gibt in der Selbsthilfe-Szene die Faustregel, dass man mindestens sechs Mal zu einer Gruppe gehen sollte, bevor man sich eine abschließende Meinung darüber bildet.

Wenn es noch zusätzliche Treffen von anderen Gruppen in Deiner Nähe gibt, dann zögere nicht, auch zusätzlich noch zu deren Meetings zu gehen. Manche von uns haben ihre Stammgruppe (bei der sie absolut regelmäßig teilnehmen) und besuchen noch viele Meetings von anderen Gruppen parallel. Je mehr Meetings desto besser, gerade am Anfang.

Andere Arten von Selbsthilfegruppen

Vielleicht hast Du den Eindruck, dass Gruppen nach dem 12-Schritte-Konzept nichts für Dich sind. Welche anderen Formate es noch gibt, ist von Land zu Land unterschiedlich. Üblicherweise gibt es auch Selbsthilfegruppen, die professionell angeleitet werden, beispielsweise von einer Psychologin oder einem Sozialpädagogen.

Mein Rat an Dich: Wenn Dir die 12 Schritte nicht gefallen, dann kannst Du diese Treffen trotzdem für Dich nutzen. Du kannst dort einfach neue cleane Freunde finden. Die eigentlichen 12 Schritte musst Du gar nicht machen, Du musst Dir auch keine Unterstützerin oder keinen Unterstützer suchen. Geh einfach hin, weil die Regelmäßigkeit gut für Dich ist und weil Du dort gleichgesinnte Menschen triffst.

Starte also gleich mit Deiner Suche nach einer Selbsthilfegruppe. Lass Dich nicht von Ausreden abhalten und bringe die Kraft auf, Deine Trägheit zu überwinden. Auch wenn es am Anfang schwer scheint, es ist nicht unmöglich, nur etwas tricky.

Kapitel 5: Die Wand

6. Woche – 4. Monat

Es trifft Dich hart. All der positive Schwung aus der „Honeymoon“-Phase ist plötzlich weg.

Eine scheinbar unüberwindliche „Wand“ aus Depressionen, Langeweile und Verzweiflung beginnt nach etwa 45 Tagen Cleansein und zieht sich bis in den 4. Monat hinein, manchmal auch bis in den 6. Monat. Aber denk immer daran: Es wird besser!

Dies ist leider die Phase, in der Menschen oft rückfällig werden. Du möchtest so sehr, dass die Langeweile und die Einsamkeit verschwinden, dass Crystal wie DIE erneute Lösung erscheint. Obwohl das Risiko wieder anzufangen hier am höchsten ist, kannst Du es schaffen.

In diesem Kapitel geht es darum, wie du gut durch diese Phase kommst. „Die Wand“ ist nicht unüberwindbar, hält aber viele Tücken parat.

„Es fühlt sich an wie die Hölle. Wenn dies das Leben sein soll, warum dann nicht lieber gleich wieder konsumieren?“

(Tim, 3 Monate clean)

„Igel dich nicht ein. Ruf Leute an.“

(Billy, 1 ½ Jahre clean)

Was Du erwarten musst

Erschöpfung, Einsamkeit und Langeweile kommen zurück

Du fühlst Dich wie im falschen Leben, bist gelangweilt von allem. Du bist nicht nur emotional am Boden, sondern auch körperlich schlapp. Im Gegensatz zum energiegeladenen Leben während der Phase des „Siebten Himmels“ wirst Du nun von Erschöpfung und Trägheit überwältigt. Vielleicht fühlst Du Dich unsagbar einsam.

Dieser Zustand ist normal, versuch dich darauf einzustellen. In der Zeit zwischen dem 4. und 6. Monat tritt normalerweise Besserung ein, also lass Dich nicht unterkriegen. Du wirst Dich dann tatsächlich wieder energiegeladen fühlen und hoffnungsvoller sein. Bis dahin benutz die Langeweile, die Einsamkeit und die Trägheit nicht als Ausrede um wieder zu konsumieren.

„Die Wand“ ist ein Zeichen dafür, dass sich Dein Gehirn und Dein Körper regenerieren und es ihnen bald besser geht. Bleib am Ball, bleib stark und gib der Verführung nicht nach.

Was ist, wenn ich nie wieder Freude verspüre?

Die vorübergehende Unfähigkeit Freude zu empfinden, ist eine Folge von ausgedehntem Meth-Konsum und beginnt ca. 1 ½ Monate nach dem Aufhören. Dieser Zustand kann sich bis zum 4. bis 6. Monat hinziehen. Man nennt ihn „Anhedonie“. Du könntest versucht sein zu sagen: „Wenn sich so das cleane Leben anfühlt, kann ich genauso gut wieder konsumieren. Denn so kann ich nicht auf ewig weiterleben.“

Es ist wichtig zu wissen, dass diese vorübergehende Freudlosigkeit absolut normal ist. Nochmal: Es wird erstens in ein paar Monaten vorbei sein und zweitens ist es ein Zeichen, dass sich Dein Gehirn wieder erholt.

Versuch diese Phase heil zu überstehen. So wie die Langeweile und das Gefühl der Einsamkeit wird auch die Freudlosigkeit nicht ewig andauern.

Konsumfantasien, Flashbacks und euphorische Erinnerungen

In deiner Konsumzeit waren dein Körper und dein Gehirn ein hohes Level an Stimulation gewöhnt. Nach dem Aufhören ist es für Dein Gehirn unmöglich, sich gleich an die neue Situation anzupassen. Viel lieber will es die verrückte Party zurückhaben. Und was passiert dann?

Dein starkes Verlangen („Craving“) nach Crystal kommt mit voller Wucht zurück. Ans Konsumieren oder an riskante sexuelle Fantasien zu denken, kann sich bis zur Besessenheit steigern. Du willst all das Berauschende und Aufregende, das Crystal Dir immer gegeben hat. Du würdest alles tun, um der Langeweile, der Einsamkeit und den Depressionen zu entkommen.

Das Problem bei diesen Erinnerungen und den Flashbacks ist, dass sie nur die halbe Wahrheit sind. Du erinnerst Dich nämlich nur an die spannenden, positiven und anregenden Seiten des Konsums und vergisst praktischerweise die unglaublich schrecklichen.

Diese „euphorischen Erinnerungen“ sind die große Lüge Deiner Krankheit. Sie sehen nur die Energie und das Aufregende. Aber lass Dich nicht täuschen, Du weißt es schließlich besser. Erinnere Dich an die ganze Wahrheit, bis hin zum hässlichen Ende Deines Konsums.

Die Lust auf Sex kehrt zurück

Wenn Du in den ersten Wochen Deines Clean-Seins nicht so viel Lust auf Sex hattest, dann ändert sich das sehr wahrscheinlich irgendwann im Laufe dieser Phase, der „Wand“. Dein plötzlich neu erwachtes heftiges sexuelles Interesse kommt vielleicht daher, dass Dein Nervensystem immer noch Schwierigkeiten hat, Freude zu empfinden und dies durch Heißhunger auf sexuelle Kicks kompensieren will. Jedenfalls solltest Du in dieser Phase auf Anflüge von extremer Geilheit eingestellt sein.

Sei wachsam: Viele werden aus sexuellen Gründen rückfällig. Für schwule Männer ist Sex die häufigste Ursache für einen Rückfall. Für heterosexuelle Paare sieht es nicht anders aus, natürlich nicht.

Später in diesem Kapitel werden wir das Thema noch näher unter die Lupe nehmen (siehe Kapitel „Tschüss Crystal-Sex, Willkommen cleaner Sex“). Jetzt reicht es erstmal zu wissen, dass Deine sexuelle Lust zurückkommen wird - wenn sie es nicht bereits getan hat.

Nervenaussetzer oder Nervenschocks

Mitunter hast Du schon mal erlebt, dass eine Art Ruck durch Deinen Körper geht. Vergleichbar ist das mit dem Zustand beim Einschlafen, wenn Du langsam wegdämmerst und kurz vorm Einschlafen hochschreckst. Ganz unmedizinisch bezeichne ich das als „Nervenaussetzer“.

Ich habe Ex-Userinnen auf Entzug erlebt, die sich auf einen Stuhl setzen wollten, und aufgrund eines solchen Anfalls daneben gefallen sind. Das muss Dir nicht peinlich sein. Solche Aussetzer treten nur ganz vereinzelt auf, werden weniger und hören schließlich nach einigen Monaten ganz auf.

Sich von Freunden und Familie etwas anhören müssen

Wenn es Dir etwas besser geht und Du Dich nicht mehr wie Frankensteins Monster fühlst, werden Menschen in deinem Umfeld das vermutlich mitbekommen und vielleicht finden, dass jetzt die Zeit für klärende Gespräche über deine Konsumvergangenheit gekommen ist. Du kommst also gerade wieder so irgendwie klar, und schon hängen all diese Menschen, die es ja nur gut meinen, wie die Kletten an Dir.

Versuch, Dich im Zaum zu halten und ihnen nicht den Kopf abzureißen. Gib ihnen zu verstehen, dass Du gerade noch nicht für solche Gespräche bereit bist. Sie werden Dich verstehen.

Rechtfertigungen für einen erneuten Konsum verzehnfachen sich

Ich kann es nicht oft genug sagen: Du befindest Dich in der Phase, in der die meisten Rückfälle passieren – und das hat einen Grund. Dein Körper produziert nun nicht mehr die Mengen an Dopamin, wie während der Phase, als Du Dich noch wie „im siebten Himmel“ fühltest. Du läufst gegen eine biochemische Mauer in Deinem Gehirn und nur Geduld und Zeit können dein Problem lösen. Aber Dein Gehirn schreit nach mehr Crystal, und Deine Abhängigkeit klinkt sich mit ein paar tollen Ausreden und Rechtfertigungen in die Diskussion ein – warum jetzt ein guter Zeitpunkt ist, „nur ein bisschen zu konsumieren“ oder „nur einmal noch“ zur Linderung der Langeweile und der Einsamkeit. Hier findest Du ein paar der beliebtesten Rückfallausreden:

Es ist nur dieses eine Mal.

Ich bin jetzt 3 Monate clean, höchste Zeit für eine kleine Belohnung.

Wenn das Leben weiter so mies läuft wie jetzt, kann ich auch wieder anfangen zu konsumieren.

Ich kann ruhig mit einem alten Freund abhängen. Wenn er vor mir konsumiert, werde ich stark sein und nichts nehmen.

Mein Sexpartner kann ruhig konsumieren, ich bin stark genug zu widerstehen.

Es ist nur das eine Mal, es wird mir nichts ausmachen.

Eine kleine Line um fit zu werden, ist nicht dasselbe, wie das Zeug zu rauchen oder zu spritzen.

Niemand wird es erfahren, wieso nicht nochmal konsumieren? Nur das eine Mal.

Ich will Dich nochmal daran erinnern, dass Du eine Krankheit hast, die versucht Dich zu überzeugen, dass Du sie nicht hast.

Was Du tun kannst

Nimm Selbsthilfe-Treffen wichtig

Die Hauptgründe für einen Rückfall sind Langeweile und Einsamkeit.

Um nicht rückfällig zu werden, ist daher Folgendes wichtig: (1) Beschäftige Dich und (2) pflege Deine Kontakte zu cleanen Freunden. Das bedeutet so viel wie “besuche möglichst viele Treffen von Selbsthilfegruppen“. Wenn es Dir nun schon etwas besser geht, ist es leicht zu denken: „Ich kann auf die Treffen verzichten und mich auf andere Dinge konzentrieren.“ Diese kleine Stimme ist immer noch Teil Deiner Krankheit. Es ist wichtig, dass Du den Kontakt zu Deinen cleanen Freunden hältst und Dich möglichst oft mit ihnen triffst. Setze Deine Prioritäten so, dass die Treffen immer an erster Stelle stehen. Es ist die Gemeinschaft Deiner cleanen Freunde (die Dich wirklich verstehen), die Dich von der Einsamkeit fernhält. Triff Deine Freunde einmal täglich oder öfter. Das klingt viel, aber es ist wirklich wichtig und die Anstrengung auf jeden Fall wert.

Halte Dich von Risikopersonen, -plätzen und -dingen fern

Falls Du noch nicht all Deine alten Kontakte von Deinem Handy oder Computer und auch Deine Online-Profile gelöscht hast, ist spätestens jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.

Was sind Risikopersonen, -plätze und -dinge in Deinem Leben? Alte Freunde? Online-Communities? Discos, Sex Clubs oder Bars? Bestimmte Straßen oder Teile der Stadt? Bestimmte Filme oder Fernsehshows, die den Konsum romantisieren? Es gibt ein anderes Sprichwort bei den Anonymen Alkoholikern, das besagt: „Wenn Du lange genug in der Nähe eines Friseurs rumhängst, wirst Du einen Haarschnitt bekommen“.

Weil Du ein paar Monate clean warst, heißt das leider noch lange nicht, dass Du mit diesen Risikofaktoren ohne Probleme umgehen kannst.

Training und Fitnessstudio

In dieser Phase der Abstinenz ist es unerlässlich damit anzufangen regelmäßig Sport zu treiben. Dabei ist das Training nicht ausschließlich für Deine Muskeln gedacht. John Ratey, ein Psychiater an der Harvard Universität hat herausgefunden, dass regelmäßiges Training die Produktion von Hirnzellen fördert, die für Lern- und Merkprozesse zuständig sind. Er fand heraus, dass regelmäßiges Trainieren nicht nur Angstzustände sowie leichte bis mittlere Depressionen abmildert, sondern dass es buchstäblich dem Gehirn hilft, schneller gesund zu werden. Bereits ein kurzes Workout lässt Dich an etwas Anderes als an Suchtdruck denken. Und unterdrückt den Impuls zu konsumieren – oft über mehrere Stunden. Merk Dir das, das ist wichtig!

Hier noch ein weiterer wissenschaftlicher Aspekt, der Dir vielleicht hilft: Dein Gehirn braucht 21 Tage um eine neue Gewohnheit zu festigen. Bist Du gerade bei Tag 18 Deines Trainings und denkst: „das ist sinnlos, ich hasse es!“, bleib trotzdem bis zum 21. Tag dabei. Mit ziemlicher Sicherheit wirst Du Dich dann anders fühlen. Melde Dich also im Fitnessstudio an oder schreib Dich für einen Kurs ein und bleib mindestens 3 Wochen dabei. Das hier ist Dein neues Ich auf dem Weg des Gesundwerdens.

Bleib in Bewegung – Erkläre der Langeweile den Krieg

Langeweile ist der große Feind des Cleanseins. Lege Dir einen Kalender an und knall ihn ordentlich mit interessanten Unternehmungen voll. Triff Dich mit Deinen cleanen Freunden und Freundinnen, so oft es geht. Geht Kaffee trinken, verabredet Euch zum Essen oder geht ins Kino. (Wenn Du wie die meisten Meth-User warst, dann warst Du wahrscheinlich ewig nicht mehr gepflegt essen). Hier sind noch ein paar weitere Ideen:

Werde freiwilliger Helfer in einem Projekt, das Dich interessiert. Das ist toll, weil es Dich nicht nur beschäftigt, sondern Dir auch das Gefühl gibt, etwas Sinnvolles zu tun und Dein Selbstwertgefühl anhebt. Besuche einen Kunst-Kurs oder eine sonstige Gruppe, die sich regelmäßig trifft. Gehe zu (mehr) Selbsthilfeangeboten (als Du es gerade schon tust). Übernimm Verpflichtungen und Organisatorisches bei diesen Meetings. Gehe ins Fitnesscenter oder mache einen Yoga-Kurs. Fang irgendwas Kreatives an, z.B. malen, schreiben, tanzen, singen oder was immer Dir einfällt.

Du verstehst, worum es hier geht. Um Beschäftigung! Mach Pläne, füll Deinen Kalender und halte die Termine dann auch ein. Ein altes Sprichwort besagt: „Müßiggang ist aller Laster Anfang“. In diesem Fall stimmt es tatsächlich. Also erkläre Langeweile und Trägheit den Krieg!

Kümmere Dich um Termine beim Arzt und beim Zahnarzt

Gehe im ersten Jahr Deiner Abstinenz alle drei Monate zum Arzt und berichte ihm/ihr über Deine aktuelle Lage. Stelle sicher, dass der Arzt/die Ärztin über Deine Meth-Vergangenheit Bescheid weiß und lüge nicht über Länge und Ausmaß Deines Konsums. Nur so kann abgesichert werden, dass Du die Hilfe bekommst, die Du brauchst.

Wenn Du HIV- und Hepatitis C-negativ warst, lass Dich nochmals einige Monate nach Abstinenzbeginn testen.

Wenn Du bisher noch nicht beim Zahnarzt warst, tu dies sofort.

Sammle Chips bei den Treffen der Selbsthilfegruppen

Bei Treffen von CMAs oder NA gibt es Chip-Marken für verschiedene Zeiträume der Abstinenz. Da wären ein sogenannter Willkommens-Chip, oft auch der „24-Stunden-Chip“ genannt, und dann gibt es noch welche für 30, 60 und 90 Tage clean. Danach folgen der „6-Monate-Chip“, der 9-Monate-Chip“ und dann der „1-Jahres-Chip“ - Dein erster cleaner Geburtstag.

Es gibt zwei Gründe, warum es wichtig ist, solch einen Chip vor den Augen der Anderen überreicht zu bekommen: Zum einen, um Deine Abstinenz zu ehren – für Dich selbst und für Deine Freunde und Freundinnen. Zudem, und das ist vermutlich noch wichtiger, um den Neulingen zu zeigen, dass es möglich ist, mit Crystal aufzuhören. Denk mal daran, wie es für Dich als Neuling mit ein paar Wochen Abstinenz auf dem Buckel war – wie erstaunt Du warst, als andere ihren „30-Tage“- oder „6-Monate-Chip“ bekommen haben. Diese Menschen haben ihre Chips nicht nur für sich bekommen, sondern auch für Dich, den Newcomer! Jetzt kannst Du anderen diesen Gefallen tun.

In cleaner Gesellschaft ist man sicherer

Es ist wahr und Du weißt es. Verbring Deine Zeit mit cleanen Menschen und mit Leuten wie Dir, die gerade clean werden. Verbringe Dein cleanes Leben nicht in Abgeschiedenheit. Natürlich muss nicht jede Person über Deine Meth-Vergangenheit Bescheid wissen, aber ein vertrauter Kern an Menschen sollte eingeweiht sein. Du brauchst jetzt Leute, die Dich unterstützen und keine Menschen, die Dir helfen, Deine Krankheit zu verleugnen.

Weiß ein Freund oder eine Freundin nichts von Deiner momentanen Situation, ist es viel wahrscheinlicher, dass er oder sie aus Versehen dazu beiträgt, dass Du Scheiße baust. Es ist also sinnvoll, Dich vor Deinen engsten Freunden und Freundinnen zu outen, das wird Euch enger zusammenschweißen.

Tschüss Crystal-Sex, hallo drogenfreier Sex

Wenn Du Crystal und Sex kombiniert hast, kommt Dir cleaner Sex vermutlich erstmal unerreichbar vor. Aber tausende Ex-Userinnen und -User haben gelernt, wieder richtig heißen Sex ohne Crystal zu genießen. Dies braucht aber etwas Zeit und Anstrengung.

Diese Infos würden auch gut in die Phase der Umstellung (im nächsten Kapitel) passen. Sie stehen aber auch schon hier, weil vor allem in der hier beschriebenen Phase Dein sexuelles Verlangen in Form von Sexfantasien oder starkem Verlangen mit voller Wucht zurückkommt. Denn hier sucht Dein Gehirn nach allem, was hilft, um der Langeweile zu entfliehen.

Als Erstes kommt die nackte Wahrheit: Nie wieder Sex auf Crystal! Wieso? Weil Sex auf Crystal bedeutet, dass die Droge dann wieder den Weg in Deinen Körper findet und das solltest Du auf keinen Fall riskieren. Das Ding ist, es gibt einfach keinen „One-Night-Stand“, wenn Crystal im Spiel ist. Crystal auch nur für einen Tag oder für ein paar Tage heißt unter Umständen, dass wieder ein paar Jahre daraus werden. Das Risiko eines Rückfalls ist einfach zu groß.

Ein Leben ohne Crystal bedeutet - ohne jede Ausnahme - ein Leben ohne Crystal-Sex. An diesen Gedanken müssen sich einige erst gewöhnen, und es ist völlig okay, darüber erst mal traurig zu sein.

Ex-Userinnen und User beklagen häufig, dass sich „normaler“ Sex langweilig und öde anfühlt, bei weitem nicht so gut wie der auf Crystal. Es gibt einen physiologischen Grund dafür. Aufgrund der immensen Dopamin-Ausschüttung, die Dein Gehirn ständig beim Sex auf Crystal erlebt hat, sind Deine Nervenbahnen erschöpft, die das Lustempfinden steuern. Aber auch dies wird sich nach einiger Zeit regenerieren. Du wirst wieder anfangen, Sex genießen zu können. Aber denk daran: das braucht Zeit und etwas Geduld.

Man muss auch sagen, dass drogenfreier Sex eine andere Form von Sex ist. Anstatt des grenzüberschreitenden, intensiv-pushenden, NonStop-Vergnügen-Marathons bist Du gezwungen, „normalen“ Sex zu haben. Wenn das langweilig für Dich klingt, liegt das daran, dass Du immer noch aus der Perspektive des Crystal-Users denkst.

Stell Dir vor, Du müsstest Dein sexuelles Vergnügen auf einer Skala von 1 bis 10 bewerten. Nun erinnere Dich an Deinen ersten Orgasmus – egal ob beim Sex mit einer anderen Person oder beim Masturbieren. Er war vermutlich so intensiv und überwältigend, dass er über die Skala hinausreichte und bei einer – sagen wir mal – 15 liegt. Die folgenden Orgasmen konnten dieses Level wahrscheinlich nicht mehr erreichen, fühlten sich nicht mehr so neu und intensiv an. Der Orgasmus pendelte sich irgendwo da ein, wo er hingehört, nahe an der 10 einer „normalen“ Lustskala.

Genau wie Dein erster Orgasmus wird der erste Sex auf Crystal ebenfalls die Skala gesprengt haben. Aber es war nochmal deutlich höher als Level 15, da Du Dich in einem Zustand befunden hast, den das Gehirn normalerweise niemals so erzeugen könnte. Kurz gesagt, es bewegte sich vielleicht eher in Richtung Level 60? Im Vergleich dazu wurde Sex ohne Crystal schnell unbefriedigend. Nach ein paar Mal Level-60-Cystal-Sex, fühlte sich Sex ohne Crystal schnell langweilig und öde an und erreichte vielleicht noch 3 Punkte oder weniger. Es ist wichtig sich klar zu machen, dass diese “3“ aus der verzerrten Perspektive von Crystal-Sex kommt, das menschliche Gehirn war aber nie für Level-60-Cystal-Sex vorgesehen. Nachdem Du mit Crystal aufgehört hast, wird sich regelmäßiger Sex ohne Crystal eine ganze Weile lang wie Sex auf Level 3 oder niedriger anfühlen. Wie auch immer, es ist sehr wahrscheinlich, dass sich Deine Wahrnehmung ändern wird und Du wieder Gefallen an Sex ohne Crystal finden wirst. Natürlich wird sich der neue „cleane“ Sex nicht exakt so, wie Sex auf Crystal anfühlen, aber Du wirst es irgendwann sehr genießen können.

Dein Gehirn wird mit Sicherheit wieder zurück finden. Vertrau auf die Erfahrungen Tausender Crystal-User, die erfolgreich vor Dir aufgehört haben - die 10 auf der Sex-Genuss-Skala wird nicht nur ausreichend sein, sondern fantastisch – so wie es sein sollte.

Wie gehst Du nun mit Sex in Deiner Abstinenz um? Es gibt letzlich nur eine einzige feste Regel, an die Du Dich halten musst: Kein Sex auf Crystal. Hier sind einige Ideen und Vorschläge:

Verzichte ein Jahr auf Sex: Wenn man momentan nicht in einer Partnerschaft ist, kann es hilfreich sein, ein ganzes Jahr Sex zurück zu stellen. So kannst Du Dich auf die anderen Baustellen konzentrieren und einen wesentlichen Rückfall-Trigger von vornherein ausschließen. Erprobe abstinenten Sex mit anderen Ex-Usern: Vor allen im Bereich von schwulen Ex-Usern gib es in den USA manchmal die Empfehlung, sich auch zum Wiedererlernen von cleaner Sexualität mit anderen abstinent Gewordenen "zusammen zu tun". Solche Sex-Beziehungen beispielsweise unter Mitgliederinnen und Mitgliedern einer Selbsthilfegruppe zu beginnen, ist eigentlich im Selbsthilfebereich verpöhnt. Andererseits hat es bei Crystal in jedem Fall den Vorteil, dass man sich gegenseitig vor Rückfällen durch den Sex beschützen kann. Es ist also Deine Entscheidung, ob dies für Dich in Frage kommt. Finde Deinen eigenen fantasievollen Weg, den Crystal-Sex zu betrauern: Im Buch „Overcoming Crystal Meth Addiction“ hat der Psychiater Steven Lee einen eindrucksvollen Vergleich angestellt. Wenn jemand eine Expedition in die Antarktis unternimmt, dann wird er irgendwann einen Ort zu sehen bekommen, der von atemberaubender Strahlkraft ist. In einer Landschaft von unermesslich großen Eisflächen wird man Gipfel sehen, die vom Licht der aufgehenden Sonne in glänzendes Licht gehüllt sind. Der oder die Reisende wird diesen Moment für eine unbeschreibbare Zeitspanne (Eine Sekunde? Eine Ewigkeit?) erleben und in sich aufnehmen. Irgendwann beginnt die Rückkehr. Der oder die Reisende wird diesem Moment weiter in sich tragen. Zugleich wird man sich dann aber bewusst, welche Strapazien man auf sich genommen hat, und welche Opfer man bereit war, dafür zu erbringen. Man denkt an all die Lebenszeit, die man dafür investiert hat und all das Geld, was verbraucht wurde. Und man wird sich darüber klar, dass man natürlicherweise niemals hierher gekommen wäre. Man brauchte massive technische Ausrüstung, um der unermesslichen Kälte und den erbarmungslosen Stürmen auch nur eine kurze Weile zu trotzen und zu überleben. Am Ende könnte man resümieren, dass man etwas erlebt hat und in sich trägt, was viele Menschen niemals gesehen haben. Man weiß aber zugleich, dass man danach wieder im normalen Leben ist, und irgendwo in der Stadt oder auf dem Land lebt, und "normale" tägliche Hochs und Tiefs hat. Dieses Bild läßt sich doch gut nutzen, wenn Du unermesslichen Sex auf Crystal hattest. Du hast es erlebt, und das ist eine Bereicherung. Aber Du brauchst niemals dahin zurück. Welchen Weg auch immer Du für Dich findest: Bitte lass Dich nicht täuschen und behalte nicht eine versteckte Fantasie in Dir, die Dir sagt. "Irgendwann werde ich, nur einmal noch, diesen wahnsinnigen Sex noch mal erleben". Dieser Gedanke ist derjenige, der in den Rückfall führt. Betrauere Deinen Crystal-Sex und dann schliess damit ab.

Es ist hilfreich, sich daran zu erinnern, welche Phasen des Trauerns es gibt (Verleugnen, Wut, Feilschen, Depression, Akzeptieren). Diese lassen sich voll und ganz auch auf Deinen entgültigen Abschied vom Crystal-Sex übertragen:

Verleugnen: „Vielleicht kann ich doch wieder irgendwann mal Crystal-Sex haben.“

Wut: „Nie wieder Crystal-Sex, was für ein verfluchter Mist“

Feilschen: „Naja, einmal im Monat Crystal-Sex wäre vielleicht doch okay, oder?“

Depression: „Ich werde es nie wieder erleben.“

Akzeptieren: „Ich will nicht, dass Crystal wieder mein Leben zerstört und dafür bin ich bereit, Crystal-Sex für immer aufzugeben.“

Sex ist tricky. Und das ist die Untertreibung des Jahres. Nur eines ist sicher: Ein gesundes und aktives Sexleben ist wichtig um glücklich zu sein. Mit dem als Grundlage hier nochmal drei entscheidende Argumente für cleanen Sex:

Du warst beim Sex emotional auf Crystal fixiert und nicht auf Deine/n Partner/in. Die besondere "Verbundenheit mit Deinem Partner" ist eine Lüge. Ihr wart vielleicht körperlich verbunden, weil ihr eine wilde Party hattet, aber emotional warst Du Crystal und dem Sex verbunden, nicht der Person. Sei ehrlich, Dein/e Sexpartner/in hätte auch irgendjemand anders sein können, das Entscheidende war Crystal. Bei cleanen Sex hast Du die Möglichkeit eine echte Bindung zu Deinem Partner oder Deiner Partnerin aufzubauen – etwas, das Du auf Crystal nicht bekommen hast.

Nachdem Du gelernt hast, wieder cleanen Sex zu haben, wirst Du Sex auf Level 10 erleben. Und was noch viel wichtiger ist – es wird Dir gefallen. Es stimmt wirklich. Fall dabei nicht darauf rein zu denken, dass „normaler“ Sex nur eine lasche Version vom wilden und ungezähmten Sex auf Crystal ist. Drogenfreier Sex hat seine eigenen, ganz besonders intensiven Vorzüge, den Crystal-Sex niemals haben wird. Erinnerst Du Dich ans Küssen? Erinnerst Du Dich, wie es war, nichts zu überstürzen und das warme Gefühl von Glück, während Du den Körper des Anderen erforscht hast? Erinnerst Du Dich daran, wie eng Du Dich verbunden gefühlt hast, wie Du Deinem Partner oder Deiner Partnerin tief in die Augen geschaut hast? Natürlich wirst Du Dich immer an den Sex auf Crystal erinnern, aber das große Verlangen danach wird weniger mit der Zeit. Eventuell hast Du hin und wieder Flashbacks oder intensive Erinnerungen daran, aber sie werden weniger mit der Zeit.

Cleansein bringt klares Erleben mit sich – auch beim Sex. Über das (Wieder)-Erlernen von Sex ohne Drogen könnte ich ein eigenes Buch schreiben, das Wichtigste ist aber: Konsumiere auf keinen Fall, egal, was passiert und erlaube Dir, Deine sexuellen Gewohnheiten zu ändern, wenn es notwendig ist. Abgesehen vom Konsum kannst Du natürlich beim Sex alles ausprobieren, was Du auch auf Crystal gemacht hast. Aber nun geht es darum, es ohne Crystal zu tun. Solltest Du aber feststellen, dass Dir bestimmte sexuelle Praktiken clean nicht mehr gefallen, kannst und solltest Du diese natürlich ändern.

Beim Cleansein geht es nicht darum, unser vergangenes Verhalten schlecht zu machen. Wenn Du willst, kannst Du alte Vorlieben natürlich auch clean nochmal ausprobieren. Vielleicht macht es ja immer noch Spaß. Andernfalls stellst Du halt fest, dass diese für Dich so jetzt nicht mehr funktionieren. Es ist nicht ungewöhnlich, wenn Du Dich nach mehr Zuneigung und Nähe anstatt wildem Sex sehnst.

Die sexuelle Intensität beim Orgasmus wird auf Deiner Skala wieder nach oben steigen, zwar nur noch bis maximal Level 10, aber mehr war biologisch sowieso niemals vorgesehen. Sex wird nach Crystal-Zeit wieder befriedigend werden und Du wirst ganz neue spannende Erfahrungen machen.

Kapitel 6: Umstellung

Du hast die Mauer sicher übersprungen und viele Gefahren bewältigt. Die nächste Stufe heißt „Umstellung“ – weil dieses Wort den nun folgenden Zeitabschnitt gut charakterisiert. „Umstellen“: Körperlich, sozial und emotional, hin zu einem Leben ohne Crystal. Du bist erleichtert, den harten Entzug hinter Dir zu haben und findest wieder Gefallen am Leben.

„Es wird nicht mehr schlimmer werden. Dein Leben wird nun besser werden. Eines Tages wirst Du Dich selbst wieder lachend und fröhlich vorfinden. Ich verspreche es Dir.“

(Joseph, 1 Jahr clean)

„Verbringe so viel Zeit wie möglich in einem cleanen Umfeld, mit Leuten die schon länger abstinent sind“

(Nicki, 22 Jahre clean)

Was Du erwarten musst

Du kannst schlechte Phasen jetzt besser bewältigen

Dein Gehirn wird sich weiterhin regenerieren und dabei immer klarer und fokussierter funktionieren. Du wirst vieles wieder geregelt bekommen und einiges mit anderen Augen sehen. Definitiv wirst Du Dich besser fühlen. Die gesteigerten Emotionen, Stimmungsschwankungen und die Vergesslichkeit waren typisch für die ersten Monate, werden jetzt aber zunehmend nachlassen. Aber es ist weiterhin zu erwarten, dass Du schlechte Momente erleben wirst und diese bewältigen musst.

Versuche diese schlechten Zeiten auszuhalten. Mach Dir in solchen Momenten klar, dass Du auf dem Weg der Besserung bist, denn Du bist clean und nüchtern. Versuche, Deinen Blick weiter zu fassen. Mach Dir klar, wie Dein Leben sich verbessert hat, seitdem Du mit dem Konsum aufgehört hast.

Dein Leben wird besser. Nur langsam. Und auch mal mit schlechten Zeiten.

Die Macht der Trigger und der Suchtdruck verringern sich

Mit der Zeit werden Trigger Dich weniger ansprechen und Gedanken ans Konsumieren wecken. Auch der Suchtdruck generell wird weniger werden. So erleben und berichten es die meisten Abhängigen, die es bis hierher geschafft haben. Warst Du früher täglich von Situationen angetriggert, passiert das jetzt vielleicht nur noch wöchentlich. Suchtdruck und die Macht von Triggern über Dich werden in den folgenden Monaten weiter abnehmen.

Allerdings wirst Du auch in diesem Zeitabschnitt schlechte Phasen erleben und schwere Situationen bewältigen müssen (siehe vorheriges Kapitel). In diesen Situationen wirst Du wieder verstärkt mit Triggern und mit Suchtdruck konfrontiert. Dies musst Du wissen und beachten: Schlechte Phasen musst Du auch weiterhin durchleben, aber Situationen, in denen Du Dich zum Konsum verleitet fühlst, wird es zunehmend weniger geben.

"Zum ersten Mal clean"-Erlebnisse

Jetzt, wo Du nicht mehr konsumierst, sammelst Du erste Erfahrungen in Situationen, die Du zum ersten Mal seit langem wieder clean erlebst. Von Sex über Urlaube bis hin zu Kindergeburtstagen, es gibt eine Menge sehr wichtige Erfahrungen, die Du Dir durch Deine Abstinenz verdient hast. Entweder Du erlebst sie das erste Mal in Deinem Leben oder zum ersten Mal (oder nach sehr langer Zeit) clean. Ich persönliche glaube daran, dass jede neue oder wiedererlebte Erfahrung als eine große Sache gefeiert werden sollte - was sie auch ist. Höchstwahrscheinlich dachtest Du, nie wieder die einfachen, schönen Dinge des Lebens ohne Crystal genießen zu können. Aber jetzt eröffnet sich Dir eine neue Welt, buchstäblich frei von der Meth-Knechtschaft.

Der Prozess funktioniert so: Du hast ein Vorhaben oder willst etwas erleben - Sex ist hier übrigens ein gutes Beispiel – und Du machst es clean. Nach der Erfahrung musst Du dann entscheiden, ob es Dir gefallen hat oder nicht. Du triffst eine erwachsene Entscheidung, ob Du dieses Erlebnis in der Form nochmal haben willst oder ob Du in Zukunft vielleicht etwas ändern magst. Sex ist da ein interessantes Thema weil es ziemlich oft so ist, dass Dinge, die high funktioniert haben, clean nicht so gut funktionieren. Du bist jetzt nicht mehr in einem betäubten und gedankenlosen Zustand ... und Sex dauert jetzt keine 5 Stunden mehr. Aber lass uns mal annehmen, Du hast Deine erste drogenfreie sexuelle Erfahrung und diese fühlt sich für Dich nicht “richtig“ an. Da ist nichts Schlimmes dabei, kein Grund an Dir zu zweifeln. Alles was Du im cleanen Zustand fühlst ist okay, auch was Du tun oder nicht tun willst. Solange Du eben Clean bist. Clean sein bedeutet erneut rauszufinden, wer Du ohne Meth eigentlich bist. Und eine Sache ist sicher: Du bist jetzt, wo Du clean bist, eine andere Person.

Ohne Zweifel, vieles wird sich anders anfühlen.

Viele dieser „Zum ersten Mal clean“-Erlebnisse wirst Du erst als solche erkennen, wenn sie bereits vorbei sind. Eine Ex-Userin erzählte mir, sie hätte vergessen, wie gern sie eigentlich früher an Samstagen auf dem Markt einkaufen gegangen ist, bis sie es dann wieder gemacht hat. Ich mag es, an alle Erfahrungen der „ersten Male“ zurückzudenken, auch wenn es keine waren. Aber sie sind alle „Erstlinge“, was Dein neues, cleanes Leben angeht.

Schenke Deinen neuen Meilensteinmomenten viel Aufmerksamkeit. Muttertag, Vatertag, Weihnachten, Hanukkah, Neujahrstag, eine Geburt in Deiner Familie, die erste Beerdigung, zu der Du clean erscheinen kannst. Das sind offenkundig große Momente. Aber vergiss nicht die „kleinen Sachen“ im Leben. Der Spaziergang zum Wochenmarkt, den ersten frischen Herbstmorgen oder laue Sommernächte. Diese „Zum ersten Mal nüchtern“-Erlebnisse sind eine große Sache. Also feiere sie. Sie sind ein großer Triumph.

Ich selbst hätte damals niemals geglaubt, wieder dauerhaft clean leben zu können. Leben ohne diese furchtbare Droge in Deinem Körper – was für eine große Sache, das alles noch mal erleben zu dürfen.

Gewichtszunahme

Zu Beginn Deiner Abstinenz ist Gewichtszunahme sehr wichtig. Nun im klaren Licht der Nüchternheit ist der "Heroin Chic" Look nicht wirklich so hipp, wie es Dich Deine Krankheit glauben lassen wollte. Erfreue Dich erst mal daran, dass Dein Körper äusserlich wieder gesund erscheint.

Aber wie steht es mit übermäßiger Gewichtszunahme? Ein Ex-User sagte mir: „jetzt, wo ich seit einem Jahr clean bin, wiege ich 18 Kilo mehr als vor Beginn meines Konsums.“

Die beste Lösung gegen unerwünschte Gewichtszunahme ist, den Energieverbrauch Deines Körpers zu erhöhen, mit Sportarten, die Dir Spaß machen. Ein paar Übungen zu Hause kannst Du täglich machen, Anregungen finden sich z.B. auf Youtube. Auch Laufen und Radfahren sind gut für Deinen Energieverbrauch. Treibe täglich Sport. Ja, der beste Weg gegen ungewollte Pfunde ist eine angemessene Kombination aus vernünftiger Ernährung und regelmäßiger körperlicher Aktivität.

Bevor Du intensiven Sport beginnst, solltest Du Dich mit Deiner Ernährung beschäftigen. Idealerweise kannst Du einen Ernährungsberater konsultieren. Wer diese Möglichkeit nicht hat, aus welchem Grund auch immer, hier einige leichte Wege: Versuche 5 kleine Gerichte am Tag zu essen, anstatt der üblichen 2 oder 3 großen Portionen. Trinke deutlich mehr Wasser. Es ist vermutlich sicher zu sagen, dass Du die Menge an Wasser, die Du gerade täglich trinkst, einfach verdoppelst. Koffeinhaltige Drinks dehydrieren Deinen Körper und bringen hier keine Punkte. Und auch keine Limos. Wir reden wir hier von Wasser. Iss gesundes, frisches Essen und keine Fertiggerichte.

Dein Schlaf normalisiert sich

In der Regel normalisiert sich Dein Schlaf irgendwann im ersten Jahr. Bei manchen dauert es weniger als 2 Monate, für andere fast ein ganzes Jahr. Wenn Du für Schlafstörungen genetisch prädisponiert bist, wirst Du eine härtere Zeit haben.

Ich nehme immer noch gelegentlich ein leichtes und nicht rezeptpflichtiges Mittel aus der Apotheke, bei mir waren Schlafstörungen aber schon immer ein Problem, was in der Familie liegt. Letztendlich normalisiert sich Dein Schlaf, irgendwie.

Deine Sexualität normalisiert sich wieder

Um es anders zu sagen: Die extreme sexuelle Gier, die Du während „der Wand“ (Kap. 5) verspürt hast, lässt allmählich nach. Vielleicht auch, weil die Langeweile nachläßt und andere interessante Beschäftigungen hinzukommen.

Aber seien wir ehrlich: Sex ist einfach etwas ganz Großes für viele von uns. Für mich ist es so. Wenn Dich das Problem länger als 6 – 12 Monate begleitet, lass mich Dir sagen: Ich verstehe Dich und es ist okay. In meinem Fall war die Reintegration von Sex in mein drogenfreies Leben eine der größten Errungenschaften dieser Phase. Aber es ist mir geglückt.

Es wird eine Erleichterung für viele von Euch sein, wenn bei diesem Teil Eurer Abhängigkeit endlich Besserung eintritt.

Deine Sexualität beginnt sich zu normalisieren ... irgendwie.

Unverarbeitete Gefühle kommen wieder hoch

Wenn Du nun auf die vergangenen Monate zurückblickst, beginnst Du so langsam zu realisieren, was während Deiner Abhängigkeit alles auf der Strecke geblieben oder verloren gegangen ist – verlorene Freundschaften und Chancen, Lebenszeit und vieles mehr.

Dies zu realisieren, zieht oft Traurigkeit nach sich, z.B. wenn uns klar wird, was alles hätte sein können, wenn Meth nicht so lange unser Leben regiert hätte. Diese Erkenntnisse und Gefühle hatten wir die ersten Monate eher oberflächlich betrachtet und zu weiten Teilen verdrängt. Und das war zu der Zeit so auch notwendig.

Nun wirst Du wahrscheinlich einige dieser sehr intensiven und schmerzhaften Momente durchstehen müssen.

Diese Gefühle erfordern viel Trauer, Du solltest sie aushalten. Und an Deiner Entscheidung festhalten, nicht rückfällig zu werden. Du beginnst gerade damit Gedanken zu durchleben, die das Meth früher unterdrückt hat. Letzten Endes ist das eine notwendige und gute Sache.

Gefühle haben einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. In den Jahren Deines Konsums konntest Du einige Gefühle nicht richtig erfahren. Du hast sie mit einem emotionalen Hoch, ausgelöst durch Crystal, umgangen. Wie auch immer, sehr starke Gefühle haben sich in Dir geregt – vom Tod eines Elternteils, dem Ende einer Beziehung, einer verlorenen Freundschaft, dem verlorenen Job, Zorn, Angst und Trauer. Du hast sie zunächst nicht komplett verarbeitet. Und jetzt, während des ersten Jahres, wollen alle diese nur unzureichend durchlebten Gefühle noch einmal vollständigt erlebt werden.

Umgang mit den Folgen des Konsums

Während der aktuellen Umstellung beginnst Du auch den Umfang der Folgen zu realisieren, die durch Deinen Crystal-Konsum entstanden sind – die zerstörten Beziehungen, die vergeudeten und verpassten Chancen, den Schmerz, den Du vielleicht bei anderen verursacht hast. Sich dessen bewusst zu werden, kann viele Schuld- und Schamgefühle hervorrufen. Die andere Seite der Medaille ist, dass Du jetzt klar sehen kannst. Und nun, wo Du die Konsequenzen der angerichteten Schäden durch den Konsums sehen kannst, beginne damit, es besser zu machen und dieselben Fehler definitiv nicht zu wiederholen. Nochmal, Du bist damit konfrontiert, Gefühle bis zum Ende zu bearbeiten, die früher nicht vollends abgeschlossen werden konnten. Und Du kannst traurig darüber sein, was Du verloren hast.

Aber es gibt da auch eine wachsende Hoffnung. Insgesamt kannst Du Dir eingestehen: Es wird besser. Du wirst Dir bald zum ersten Mal, in allem was Dich ausmacht, gegenüberstehen können. Und beginnst damit, Verantwortung zu übernehmen - für Fehler der Vergangenheit in vollem Umfang. Und nun vor allem für Dein zukünftiges Handeln. Du beginnst auch mehr auf andere in Deinem Leben zu schauen, die sich dann auf Dich verlassen können.

Was Du tun kannst

Unausweichliche Trigger: Nimm sie wahr, halte sie aus und gehe hindurch

Dem Rat, offensichtlichen Triggern auszuweichen, solltest Du besonders in den ersten Wochen und Monaten nachgehen, aber das ultimative Fernziel ist, jeden Trigger frühzeitig zu erkennen und mit ihm umgehen zu können. Es ist nicht einfach, Triggern für immer erfolgreich auszuweichen. Lass uns ein Beispiel anschauen, in dem ein Trigger auf Dich zukommt – und wie Du mit ihm dann umgehst.

Nehmen wir an, Familienfeiern triggern Dich. In der Vergangenheit bist Du diesem Druck mit Konsum begegnet. Aber jetzt, wo Du drogenfrei und clean bist, werden Familienfeste kommen, zu denen Du nicht "drauf" gehen kannst. Nehmen wir noch ein offensichtliches Beispiel, etwa eine Beerdigung. Du willst verantwortungsvoll sein und Deine Familie unterstützen. Wie würdest Du mit dieser Trigger-Situation umgehen? Du handelst genauso wie bei jedem anderen plötzlich auftretendem Trigger. Du suchst Dir Hilfe bei einem abstinenten Freund / einer abstinenten Freundin.

Du solltest - nach Möglichkeit frühzeitig - jemanden kontaktieren, der Dich unterstützt und mitkommt / Dich begleitet. Es ist nichts ungewöhnliches dabei, einen abstinenten Freund / eine abstinente Freundin zu fragen, ob er/sie Dich zu der Familienfeier begleiten will. Wenn Du dann Suchtdruck bekommst, hast Du Deinen abstinenten Freund an Deiner Seite. Du hast dann jemanden, an den Du Dich anlehnen kannst, wenn es nötig werden sollte.

Wenn Du weißt, dass Du anfällig gegenüber Triggern bist, beginne nun in dieser Phase - nach etwa 6 Monaten - nicht mehr unbedingt vor ihnen wegzurennen. Bereite Dich auf sie vor. Du bist im Stande, die Trigger zu erkennen und hast Dein Unterstützungssystem im Rücken. Wenn Du soweit bist, dann kannst Du entschlossen auf sie zugehen. Ein altes Sprichwort sagt: Spüre die Angst und mach es trotzdem. Es ist wie mit einem Trigger, bei dem Du weißt, dass Du stärker sein musst - besser unbequem als alles wieder von vorn.

Je länger Du abstinent bist, desto sicherer wirst Du im Umgang mit Triggern werden, die Dir im Leben begegnen. Du musst viele Hilfsmittel bereithalten – Meetings, Notfallpläne, Listen mit Umgangsweisen und Leuten bei denen Du Hilfe und ein offenes Ohr findest und mit denen Du Dich austauschen kannst; abstinente Freunde, an die Du Dich lehnen kannst – all das hilft Dir, der Mensch zu werden, der Du sein willst.

Versuche wieder eine Arbeit / Ausbildung zu finden oder schliesse die Schule ab

Ich sag's nochmal: Laut Suchthilfeexpert/innen sind Langeweile und Einsamkeit die häufigsten Rückfallursachen für Ex-Crystal-User/innen. Also geh wieder arbeiten oder zurück zur Schule, ohne Dich dabei zu sehr unter Druck zu setzen. Finde Dein Gleichgewicht.

Suche Dir einen passenden Psychotherapeuten

Wenn Du noch nicht damit angefangen hast, suche Dir spätestens jetzt einen Psychotherapeuten, ergänzend zur Drogenberatung. Für die erste Zeit hatte ich empfohlen, eher mit einem Drogenberater oder einer Drogenberaterin zu arbeiten, bzw. mit jemandem, der sich um die ganz akuten Probleme nach Deinem Entzug kümmert, etwa mit dem Umgang mit Suchtdruck, körperlichen Problemen und dem Erlernen von Grundfähigkeiten für ein Leben ohne Crystal. Aber nun befindest Du Dich auf dem Weg hin zu einer soliden Besserung und stabilen Verfassung – in der es jetzt hauptsächlich um emotionale und persönliche Probleme geht.

Durch Meth konntest Du emotionalem Stress leicht entkommen. Ein paar Sekunden nur, und alles war wie weggewischt. Alle Sorgen verschwunden, Probleme aufgelöst. Crystal-Konsum legte den Schalter sofort von Verzweiflung auf enorme Freude um. Das Problem, mit dem Du heute konfrontiert bist ist, wie Du jetzt mit diesen Gefühlen umgehst, denen Du früher so leicht entfliehen konntest. Wie bewältigst Du jetzt Deinen Kummer, ohne zu konsumieren? Das ist eine Frage, die alle guten Therapeut/innen mit ihren Klient/innen diskutieren.

Wie solch eine Therapie aussieht, hängt von den unterschiedlichen Ausrichtungen und auch den individuellen Therapeutinnen und Therapeuten ab. In Deutschland hast Du normalerweise auch die Möglichkeit, einige Sitzungen mit einem Therapeuten auszuprobieren um zu sehen, ob Ihr zusammen passt. Wie läuft so eine Therapie ab? Die meisten Therapeuten, die sich mit cleanen Ex-Konsumenten beschäftigen, arbeiten nicht so sehr mit Deiner Vergangenheit (Jugend, Kindheit), weil dies bei Suchtgefährdeten oft keine Besserung bringt sondern auch das Gegenteil bewirken kann. Dies ist meiner Meinung nach auch sinnvoll. Das Aufarbeiten von emotionalen Konflikten während der Kindheit ist nicht immer die richtige Wahl. Obwohl diese Art der Therapie hilfreich sein kann, bringt sie nicht immer nennenswerte Veränderungen im Erwachsenenalter. Wenn man sich intensiv mit der Vergangenheit auseinandersetzt, besteht auch die Gefahr, dass alte Wunden wieder aufgerissen werden, die sonst eigentlich verschlossen geblieben wären.

Ich persönlich bevorzuge Verhaltenstherapie. Hier werden Lösungsansätze erarbeitet, um die alten Verhaltensweisen zu ändern, die zum eigentlichen Unglück und zum Konsum geführt haben. Um etwas zu verändern, müssen Ex-Konsument/innen neue Lebenskompetenzen lernen und anwenden können, um neue Verhaltensmuster zu stärken. Aber es ist Deine individuelle Entscheidung, welcher Ansatz zu Dir passt und wie tief Du in Deine Vergangenheit zurückgehen willst oder auch nicht. Die Chancen, einen passenden Therapeuten oder eine Therapeutin zu finden, stehen gut. Wenn Du nicht versichert bist, Dir keinen Therapeuten leisten kannst, oder Du lange Wartezeiten in Kauf nehmen musst, suche nach Angeboten, die kostenlos in Deiner Umgebung verfügbar sind oder nach Einrichtungen, die Dich bei der Suche nach passenden Hilfen unterstützten können.

Besondere Vorsicht bei Sex ohne Crystal

Sex treibt viele von uns zum Rückfall. Langeweile und Einsamkeit, ihr erinnert euch. Sex fällt dabei in die Kategorie Einsamkeit. Ich erwähne Sex nochmal, weil es ein überwältigend großes Problem für viele von uns Ex-Usern ist. Ein Problem, das bleibt.

Hier sind einige Dinge, auf die Du achten solltest, wenn Du über Sex ohne Crystal nachdenkst: Wenn Dein Sex-Partner / Deine Sex-Partnerin erst seit kurzer Zeit abstinent ist, sei besonders wachsam. Die direkte Konsumerfahrung liegt für die Person noch nicht so weit zurück und Sex in Kombination mit Crystal ist für sie noch sehr eng miteinander verknüpft. Oftmals sind es dann auch die Menschen mit erst kurzer Clean-Phase, die am draufgängerischsten nach Sex suchen – so ist die Gefahr erhöht, dass sie Dich erneut zum Konsum verführen.

Was ist eigentlich mit Personen aus Deiner Konsumvergangenheit, die jetzt ebenfalls abstinent sind? Eine gute Faustregel ist: Wenn Du mit einer Person Sex auf Crystal hattest, solltest Du nicht versuchen, clean mit ihm/ihr Sex zu haben. Es wird Dich einfach zu sehr an dieses immense Sex-High erinnern. Es ist dann wahrscheinlich, dass Du getriggert wirst. Für die meisten Ex-Konsument/innen, die Sex mit Konsum in Verbindung bringen, ist nichts schwieriger als sexuelles Verhalten zu steuern. Es ist eine fortwährende Angelegenheit. Arbeite mit einem Berater / einer Beraterin oder einem Therapeuten / einer Therapeutin zusammen. Such Dir neue Orte, um Sexpartner/innen zu finden, die clean sind – zum Beispiel in Deinen Selbsthilfegruppen oder auf überregionalen Treffen von Ex-User/innen. Manche Einrichtungen haben "cleane Kaffees" für abstinente Menschen.

Jetzt könnte auch ein guter Zeitpunkt sein, den Abschnitt „Tschüss Crystal Sex, Hallo drogenfreier Sex“ aus Kapitel 5 nochmals zu lesen.

Plane Deine Woche und halte soziale Aktivitäten in einem Kalender fest

In vielen Reha-Zentren beginnen Klient/innen die Woche mit dem Aufstellen eines detaillierten Stundenplans, in dem sie festhalten, was sie in den nächsten 7 Tagen tun wollen. Sie tragen alle Gruppenmeetings, Sportstunden, Therapien und Arzt-Termine, Hausarbeiten, Aufräumen, Mahlzeiten sowie Treffen mit Freund/innen – einfach alles – in den Kalender ein. Das alles wird dann zu sowas wie einem Vertrag zwischen Dir und dem Universum. Und Du hältst an Deinem Plan fest, komme was wolle. Deine Abstinenz hängt davon ab.

Hier noch zwei Gedanken zu Deinem Kalender. Du hast Dir ein System geschaffen, mit dem Du Dich beschäftigt hältst und nur wenige Stunden an allen Tagen nicht verplant sind – es kann also keine Langeweile aufkommen. Zweitens hast Du alles aufgeschrieben, sodass Du immer wieder nachschauen kannst, was in Deinem Plan steht. Ich würde Euch empfehlen, Euren Kalender immer Sonntagnachmittag zur Hand zu nehmen. Arbeitet dann Euren Plan für die kommende Woche aus. Habt Ihr an einem Tag eine Lücke, macht Euch Gedanken mit was Ihr sie füllen könntet. Du kannst Deine abstinenten Freunde anrufen und ein Treffen planen – beispielsweise um zusammen shoppen, ins Kino oder wandern zu gehen. Vielleicht auch nur einfach zusammen Kaffee trinken. Eigentlich funktioniert alles, es muss nur etwas Aktives zusammen mit anderen Abstinenten sein. Wichtig ist nur, der Kalender ist voll.

Klingt leicht, ist es auch. Gestalte Dir einen engen Tagesablauf und bleib sozial aktiv. Mach dir Pläne und zieh sie auch durch. Wenn Du am Ball bleibst, wird die Versuchung zu konsumieren immer geringer.

Kapitel 7: Der weitere Heilungsprozess

Gegen Ende Deines ersten cleanen Jahres mag Dir Deine Crystalabhängigkeit total weit weg vorkommen. Oder sie ist etwas, woran Du noch immer jeden Tag denken musst, zumindest für einen kurzen Augenblick. Wie alles bei den in diesem Buch beschriebenen Phasen kann es bei jedem etwas anders sein.

Diesen Teil der Quitting Crystal Meth - Reise nenne ich gerne „fortschreitende Gesundung“ (oder auch die "wirkliche Entschlussphase"). Denn egal wie weit weg Deine Abhängigkeit scheint – es ist wichtig sich daran zu erinnern, dass Crystalabhängigkeit eine chronische Krankheit ist und man nie geheilt sein wird.

Gesundung ist ein fortdauernder Prozess.

„Ich habe 15 Jahre und 8 Versuche gebraucht und habe erst aufgehört als der Schmerz des Konsumierens größer wurde als der des Nichtkonsumierens.“

(Steve, 4 Jahre clean)

Was Du erwarten musst

Trigger und starkes Verlangen wie aus dem Nichts

Ja, das passiert noch immer. Nur nicht mehr so oft. Vielleicht wirst Du nicht mehr von der Musik getriggert, die Du beim Konsumieren gehört hast, vom Herumfahren in der Gegend, in der Dein Dealer wohnte oder von dem Geld, das Du am Zahltag ausgegeben hast. Die Zeit hat einiges verblassen lassen und aufkommende Trigger sind nicht mehr so garstig. Es tauchen nicht mehr so häufig Konsumgedanken auf wie am Anfang Deiner Abstinenz. Du wirst nun wahrscheinlich nicht mehr wie am Anfang ständig Techniken wie "die Gedankenspirale unterbrechen" anwenden müssen.

Dennoch wird es passieren. Wie aus dem Nichts wirst Du getriggert und denkst darüber nach, wie es ist high zu sein. Du malst Dir Dein Konsumritual in den schönsten Farben aus. Natürlich kommen in diesen Momenten nur die positiven und euphorischen Erinnerungen an Deine Rauschzustände hoch - und nicht die negativen ... .

Keine Angst, dies ist alles normal und kein Hinweis auf einen unausweichlichen Rückfall. Es ist jetzt wichtig für Dich, Dir vor Augen zu rufen, dass Du noch nicht mal ein ganzes Jahr clean bist. Dein Gehirn braucht mindestens zwei Jahre Zeit, bis es sich vollständig vom Crystalkonsum erholt hat. Du bist auf einem guten Weg, aber noch nicht am Ziel. Sei nachsichtig mit Dir und mit Deinen Gedanken, die jetzt vielleicht aufkommen. Du weißt schliesslich aus den früheren Phasen Deines clean werdens, was zu tun ist, wenn Konsumgedanken aufkommen. Nutze die Techniken, die Du gelernt und als für Dich erfolgreich befunden hast. Du kannst sie hier in den früheren Kapiteln noch mal nachlesen. Bremse die Gedanken aus, die Dein Verlangen hervorrufen. Oder als Alternative: Lass Deine Konsumzeit im Schnelldurchlauf in Gedanken vorbeiziehen – bis hin zum letzten ekelhaften Tag Deines Konsums.

Und dann geh ins Fitnessstudio und powere Dich richtig aus oder mach etwas anderes Aktives und Schönes. Du weißt, was Du zu tun hast.

Wohlverdienter Stolz

Ich hoffe, Du bist stolz auf das, was Du bisher erreicht hast. Von Crystal wegzukommen ist wahrlich kein einfacher Weg. Und damit meine ich nicht nur Deinen anfänglichen Entzug sondern alles, was Du in den letzten Monate bewältigen, leisten bearbeiten und schaffen musstest. Es erforderte Mut, Durchhaltevermögen und Stärke. Und Du hast das geleistet. Sei stolz auf Dich!

Wenn Du zu Treffen einer Selbsthilfegruppe gehst oder regelmäßig in clean-Bereich des Breaking-Meth-Portals schreibst, dann sag den Leuten, dass Du stolz darauf bist, als abstinenter Crystal-Abhängiger bzw. Abhängige so weit gekommen zu sein. Andere werden das nachfühlen können und es motiviert auch diejenigen, die noch nicht so lange clean sind wie Du. Hast Du nun das Gefühl, Dein Leben zurückbekommen zu haben? Toll! Dann teile es mit Deiner cleanen Community!

Auch wenn das Leben immer noch ein Kampf ist an manchen Tagen, sei stolz auf die erreichten sechs Monate. Nun ist Dein nächstes Ziel das erste volle cleane Jahr. Und das ist schneller geschafft als man denkt. Schritt für Schritt und Tag für Tag, natürlich!

... und meine Krankheit flüstert ihre neuen Lieblings-Lügen

Auch wenn Du nun ein halbes Jahr clean bist, ist Deine Suchterkrankung immer noch clever geblieben und wird wahrscheinlich neue Wege suchen, sich selbst als Krankheit zu erhalten. Typischerweise macht sie sich hierbei die erreichte längere Zeit der Abstinenz zu nutze und baut hierauf ihre Ausreden für einen erneuten Konsum auf.

Die so produzierten Gedanken können dann zum Beispiel so aussehen:

Nur mal einen Nacht auf Crystal ist jetzt kein richtiger Rückfall mehr.

Es sind jetzt mehr als sechs Monate. Du verdienst mal eine Nacht "Freiheit".

Um diese Erledigung endlich mal vom Tisch zu bekommen und fertig zu machen, ist ausnahmsweise eine Line okay! Ist ja nicht wie früher "Party machen".

Du hast bewiesen, dass Du aufhören kannst. Du hast jetzt die Kontrolle darüber.

Was bringt das Anhäufen der ganzen cleanen Zeit, wenn man das nicht von Zeit zu Zeit mal mit einer kleinen Party feiert?

Du kannst Dich am Sonntag erholen und fit für die Arbeit am Montag sein, als sei nichts gewesen. Kein Problem.

Du bist die ganze Woche nicht in der Stadt und weg von Deinen cleanen Freund/innen und Deiner Familie. Ist das nicht eine super Gelegenheit für ein bisschen Spaß auf Droge?

So lange es kein Spritzen ist, ist es auch kein richtiges Konsumieren. Rauchen oder Ziehen ist doch nicht so schlimm.

Natürlich kannst Du was trinken. Es wird nicht gleich damit enden, dass Du total betrunken Deinen Dealer anrufst. Du bist abhängig, kein Alkoholiker oder keine Alkoholikerin.

Du verstehst, worum es hier geht. Nur weil Du schon einige Zeit clean bist, heißt das nicht, dass alles überstanden ist. Bleib weiter auf der Hut. Deine Krankheit hat immer noch vor, Dich nicht aus Ihren Klauen zu lassen.

Was Du tun kannst

Gesund zu werden steht an erster Stelle!

Nachdem Du nun über ein halbes Jahr clean bist, kann es sein, dass Dein Heilungsprozess ein bisschen in den Hintergrund gerät. Das ist ein großer Fehler! Denk daran, Du hast eine Krankheit, die Dir weismachen will, dass Du sie nicht hast.

Ich kenne in Palm Springs eine Wohneinrichtung, in der jeden Abend die Bewohner oder Bewohnerinnen gefragt werden: „Was hast Du heute getan, damit Deine Heilung an erster Stelle stellt?“. (Wenn es nicht viel gibt, wirst man dort natürlich nicht verurteilt, sondern motiviert bzw. gefragt, was helfen könnte.) Ich halte das für eine exzellente Frage für uns alle. Das könnte man sich glatt auf ein Kärtchen schreiben und mit einem Magneten an den Kühlschrank pinnen! In jedem Fall macht es Sinn, sich jeden Abend diese Frage zu stellen. Hier muss man auch wieder mutig sein, denn man wird sich auch hin und wieder eingestehen müssen, dass man bestimmte Vorhaben am Tag nicht geschafft hat.

Bist Du nicht zu Deinem Selbsthilfe-Treffen gegangen, weil Du lieber Sport im Fernsehen geschaut hast? Hast Du Deine regelmäßige Rückmeldung in Deinem Online-Selbsthilfeportal vernachlässigt? Hast Du Deine tägliche Meditation ausfallen lassen, weil Du zu spät dran warst? Hast Du das Fitnessstudio sausen lassen bzw. die kurze sportliche Übung, die Du Dir für jeden Tag vorgenommen hast? (Täglich ein klein wenig Sport ist ein wichtiger Teil Deines Heilungsprozesses, erinnerst Du Dich?) Nochmal, das Ziel ist nicht, Dich selbst zu runterzuziehen in Zeiten, in denen Du einen Durchhänger hast. Es geht darum, Deine täglichen Routinen und Abläufe zu festigen, Dich auf Kurs zu halten und wahrzunehmen, wenn Du Dich mit Deinen Vorsätzen schwer tust. Letztlich geht es darum, Deinen Heilungsprozess zu stärken und Dein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

Jetzt, wo es Dir besser geht und Du Dich auf die zweite Hälfte Deines ersten cleanen Jahres zubewegst, ist es wichtig dran zu bleiben und sich nicht verleiten zu lassen. Sondern die Gesundung als wichtigste Aufgabe zu begreifen. Deine Krankheit wird andauernd versuchen, Dich von Deinem Weg abzubringen, gerade jetzt wo es Dir besser geht.

Lerne Dich selbst wieder kennen – das neue alte Du

Das ist eine unglaubliche und erstaunliche Zeit, in der Du Dich gerade befindest. Oft schwierig, aber gleichzeitig auch toll, und es gibt immer wieder Momente, in denen Du neue Dinge bewältigst und Dir Schrit für Schritt mehr bewußt wird, wer Du eigentlich bist, mit allen guten und schlechten Seiten. Du konsumierst jetzt nicht mehr, das ist für Dein ganzes Selbst eine gewaltige Veränderung. Dein Leben wird in vielerlei Hinsicht machbarer, überschaubarer und kontrollierbarer. In diesen Monaten lernst Du Dich wieder kennen. Das echte „Du“ wurde von Deiner Abhängigkeit entführt. Du magst vergessen haben, wie das Leben war, bevor Du angefangen hast zu konsumieren. Vielleicht ist auch das Leben einer oder eines Abhängigen alles, an das Du Dich erinnerst. Oder vielleicht erinnerst Du Dich sogar noch ganz deutlich an die Zeiten, bevor Crystal Dein Leben beherrschte.

Wie auch immer – jetzt beginnst Du Dich als cleane Person kennenzulernen. Du hast nun die Wahl: Entweder nutzt Du die Gelegenheit, Dich selbst zu erforschen und als Person zu wachsen. Oder Du weichst dem aus. Ich hoffe, Du wählst das Erforschen, denn das neue und cleane Selbst kennenzulernen ist der beste Weg, Dein Clean-Sein zu stärken und Rückfällen vorzubeugen.

Dies kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Es könnte für Dich ein 12-Schritte-Selbsthilfeprogramm sein. Oder vielleicht eine für Dich und Deinen speziellen Bedarf passende Psychotherapie. Vielleicht steigst Du richtig in Yoga ein. Oder Du findest ein anderes erfüllendes und längerfristiges Ziel für Deine Freizeit und Dein geistiges Wachstum. Es kann schon eine Weile dauern, bist man herausfindet, was zu einem passt.

Die zweite Hälfe dieses ersten Jahres ist durch den Prozess der Selbstreflexion und Selbstfindung geprägt. Du glaubst, Du kannst hiermit im Moment noch nichts anfangen und fühlst Dich überfordert? Dann mache Dir keinen Stress und keine Sorgen. Gehe es langsam an, jede Person ist anders. Irgendwann wird auch für Dich dieser Prozess einsetzen.

Werde Volunteer - Ehrenamtliches Engagement

Es ist gut sich sinnvoll zu beschäftigen. Eine tolle Möglichkeit ist es, sich ehrenamtlich bei einem Verein oder einer Organisation vor Ort zu engagieren. Es gibt viele Initiativen, die - abseits von Drogenszenen und Drogenkonsum - wertvolle Arbeit leisten und Projekte vorantreiben. Das kann eine Tierschutzorganisation oder ein Tierheim sein. Vielleicht kannst Du hilfsbedürftige Menschen unterstützen, zum Beispiel bei Gemeinde-Initiativen für ältere Menschen. Unter Begriffen wie "Freiwilligenbörse" findest Du im Internet Ideen und Übersichtsseiten.

Ein ganz eigennütziger Vorteil für Dich bei der Freiwilligenarbeit ist es, dass Du ganz viele neue cleane Leute kennenlernst. Nicht viele Drogenabhängige engagieren sich freiwillig irgendwo. Allerdings kannst Du natürlich auch hier an Leute geraten, die irgendwas konsumieren und Dich einladen. Hierfür hast Du bereits eine gute Technik kennengelert: Die 10-Sekunden-Rede.

Schmeiß eine Geburtstagsparty für Dein erstes Jahr

Es mag offensichtlich erscheinen, aber ich sage es trotzdem: Schmeiß eine große Party zu Deinem 1. Clean-Geburtstag! Das ist ein wichtiger Meilenstein. Mach mit Deiner Clean-Geburtstagsclique einen Ausflug! Lustiges für einen Geburtstagsausflug lässt sich überall finden.

Lass Dir eine Torte von Deiner Selbsthilfegruppe oder Deinem neuen cleanen Umfeld schenken. Wenn Du in einer 12-Schritte-Gruppe bist, bekommst Du einen „1 Jahr“-Chip, den bringst Du dann ab jetzt für die nächsten Wochen zu jedem Treffen mit. Teile diesen Tag Deiner cleanen Community mit!

Kapitel 8: Das erste Jahr und danach

Die Probleme und Sorgen ändern sich, wenn du mehrere Jahre clean bist. Hier ist eine grobe Übersicht über ein Jahr und die Zeit danach...

„Du hörst einfach auf. Je länger Du clean bleibst, desto mehr wird Dir bewusst, dass es Deine eigene Entscheidung ist, ob Du Drogen nimmst oder nicht.“

(Jay, 5 Jahre clean)

„Die Angst hält mich clean. Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Die meisten Süchtigen haben keine Angst davor. Ich habe Angst vor einem Rückfall. Und dann ist da die Angst, nicht mehr davon wegzukommen. Ich habe Angst davor, einen Schlaganfall zu bekommen, und dann wird meine Schwester, die ich nicht mag, meinen Hintern abwischen müssen, während ich im Bett liege, unfähig mich zu bewegen, für den Rest meines Lebens. Das ist die Angst, die mich heute clean hält.“

(Brian, 13 Jahre clean)

Was Du erwarten musst

2 Jahre - Die Magische Zahl des Gehirns

Im zweiten Jahr wird das Leben oft wieder beherrschbar, und alles scheint frisch und neu. Dein Schlaf normalisiert sich, oder wird zumindest zu dem, was für Dich normal ist.

Monatelang hast Du keine Verlangens-Träume mehr. Irgendwann gegen Ende des zweiten Jahres berichten die meisten genesenden Süchtigen, dass sie keine Stimmungsschwankungen oder Anfälle von starken Emotionen mehr haben, wie sie sie zu Beginn ihrer Abstinenz erlebt haben. Der wahrscheinliche Grund dafür ist, dass es etwa zwei Jahre dauert, bis sich das Gehirn von der Meth-Abhängigkeit erholt hat. Medizinischen Studien zufolge ist die Zwei-Jahres-Marke magisch, in der das Gehirn sich selbst neu aufbaut, um den durch Meth verursachten Schaden auszugleichen. Das bedeutet nicht, dass die Jahre 2 und 3 ein Spaziergang werden, aber in physischer Hinsicht sind sie normalerweise viel einfacher.

Orientierungslosigkeit - Einige Jahre des Clean-Seins

Sobald Du im dritten Jahr oder so angekommen bist, berichten viele genesende Meth-Süchtige von einer Phase der Orientierungslosigkeit. Mehrere in diesem Buch interviewte Personen gaben unmissverständlich an, dass die Jahre 3 und 4 die schwierigsten waren. Du hast den Schmerz und die Anstrengung durchgemacht, um körperlich clean zu werden, und jetzt bist Du mit dir selbst allein.

Nach dem ersten Jahr beginnt die Arbeit zur Erlangung des "emotionalen Clean-Seins" ernsthaft. Viele beginnen dann mit einer intensiveren Psychotherapie (keine Drogenberatung). Wenn Du dies noch nicht begonnen hast, ist dies der Zeitpunkt, an dem Du alle Emotionen und Gefühle erkundest, die Du mit Deiner Sucht unterdrückt oder versteckt hast. Dies ist auch der Zeitpunkt, an dem Du, wenn du längerfristig an einer Selbsthilfegruppe angeschlossen bleibst (was Du solltest), anderen Süchtigen hilfst, die noch nicht so lange clean sind wie Du. Frag jeden, der ein "persönlicher Unterstützer" ist, was das Beste für deine Genesung ist. Er wird sagen: Andere zu unterstützen. Wenn Du mit einem anderen Süchtigen arbeitest, nimmst du Deiner Krankheit noch mehr Macht weg und findest Dich selbst weniger orientierungslos.

Bei jedem ist das übrigens anders. Einige der für dieses Buch befragten genesenden Süchtigen erlebten ihre Phase der Orientierungslosigkeit viel später, in den Jahren 5 oder 6. Wie bei allem, was Du in diesem Buch liest, kann die Zeitskala für Dich erheblich variieren. Es gibt nur ein Mal Dich. Die Hauptsache ist, dass Du mit der Phase der Orientierungslosigkeit rechnest. Das ist normal. In dieser Zeit ist es sehr hilfreich, mit jemandem zu sprechen, der länger clean ist als Du. Hol Dir ihren Rat, wie Du weitermachen kannst oder warte zumindest ab. Diese Phase der Orientierungslosigkeit wird irgendwann vorübergehen. Wie immer ist der Schlüssel, nicht „Langeweile“ oder „Reizbarkeit“ als Ausrede für einen zu Rückfall benutzen.

Auslöser und Verlangen verschwinden größtenteils

Ja, das passiert wirklich. Es ist üblich, dass Menschen mit mehr als fünf Jahren Clean-Sein ehrlich sagen, dass sie keine Gedanken an Konsum oder Verlangen mehr haben. Auslöser treten fast nie auf. Dies scheint die Norm zu sein. Etwa nach fünf Jahren bist Du eine andere Person. Alle sieben Jahre wird der gesamte menschliche Körper vollständig erneuert - jede Zelle wurde ausgetauscht -, daher ergibt es Sinn, dass in der Nähe der Sieben-Jahres-Marke die alten körperlichen Verlangen beginnen zu verschwinden.

Langzeitfolgen des Konsums

Eines der großen Dinge, mit denen Du dich im Langzeit-Clean-Sein auseinandersetzen musst, sind die Konsequenzen der Schäden, die durch den Konsum verursacht wurden. Ein 12-Schritte-Programm behandelt diesen Aspekt deiner Genesung wie kein anderes, das ich kenne. Deshalb schlage ich vor, dass jeder Süchtige die 12 Schritte mindestens einmal durchführt. Es zwingt Dich dazu, die Konsequenzen aus deiner Konsumzeit zu betrachten - und am wichtigsten ist, es versetzt Dich in einen Prozess, in dem Du Dich, sofern möglich, bei Menschen entschuldigen kannst, denen Du Leid bereitet hast.

Wenn Du Dich nicht bei der betroffenen Person oder Institution entschuldigen kannst, kannst Du zumindest das Chaos anerkennen, das Du während Deiner Suchtkrankheit angerichtet hast. Dies muss getan werden, um Deinen Entschluss, in der Genesung zu bleiben, weiter zu stärken. Egal was passiert.

Was Du tun kannst

Beweg dich weiter - Das Rolltreppenmodell

Stell Dir Deine Sucht als eine Rolltreppe vor, die sich ständig nach unten bewegt. Du stehst in der Mitte der Sucht-Rolltreppe, und was passiert? Wenn Du Deine Füße nicht bewegst und anfängst, nach oben zu gehen, wird die sich bewegende Treppe Dich tiefer in die Tiefen Deiner Krankheit ziehen. Die beweglichen Stufen gehen immer nach unten. Du musst gehen, manchmal sogar rennen, um auf den Stufen zu bleiben, sonst bringt Dich die Sucht-Rolltreppe erneut nach unten. Das Besteigen der Rolltreppe ist der Aufwand, den Du in Deine Genesung steckst. Mit der Zeit und längerem Clean-Sein wird es einfacher, die Rolltreppe immer wieder hochzugehen, und sie wird auch langsamer werden. Wenn Du hochkletterst, bewegst Du Dich im Leben nach oben, anstatt ständig zu laufen, nur um am gleichen Ort zu bleiben.

Die Lehre dieses Modells ist: Du kannst nicht aufhören zu klettern, weil die Rolltreppe sich immer bewegt. Wenn Du aufhörst zu klettern - das bedeutet, Du vergisst, dass Du eine chronische Krankheit hast, die niemals geheilt werden kann. Sobald Du Deine Genesung nicht mehr an die erste Stelle setzt, wird Dich die Rolltreppe wieder in die Tiefen deiner Sucht bringen. Das Rolltreppenmodell ist gut im Hinterkopf zu behalten. Nach Jahren wird der Aufstieg einfacher und es wird weniger schwierig, Deine aktuelle Position aufrechtzuerhalten. Du kannst es Dir aber immer noch nicht leisten, völlig aufzuhören zu klettern. Du bewegst Dich entweder vorwärts oder rückwärts in die Tiefen Deiner Sucht. Wenn Du lange in der Genesung warst, hast Du vielleicht schon gehört: Entweder wachsen wir oder wir gehen. Du hast eine chronische Krankheit, die nicht geheilt, sondern nur behandelt werden kann. Und die Behandlung erfordert das Hochklettern auf der Rolltreppe. Immer. Du musst dich immer weiterbewegen.

Kein Konsum, egal was passiert

Dies ist das Mantra des Langzeit-Clean-Seins. Natürlich ist das Problem, dass es eben genau dies ist: Ein Mantra oder ein Spruch. Und wenn Du von einem überwältigenden Verlangen gefangen bist, wird nur solch ein Spruch wahrscheinlich nicht ausreichen. Aber wenn Du diesen als Lebensmotto annimmst und zu den anderen Strategien und Fertigkeiten der Genesung hinzufügst, die Du lernst, kann dieser einfache kleine Satz eine starke Bedeutung bekommen. Und denke daran: Kein Konsum, egal was passiert.

Vertiefe dein spirituelles Leben

Obwohl Wissenschaftler schätzen, dass genetische Faktoren für etwa 40 bis 60 Prozent der Anfälligkeit einer Person für eine Sucht verantwortlich sind, gibt es einen Teil unserer Krankheit, den wir physiologisch nicht erklären können. Es wurde viel Forschung zu den psychologischen und Umweltfaktoren der Sucht betrieben, und diese sind sicherlich bedeutsam. Am Ende des Tages haben wir jedoch den Verdacht, dass die Sucht eine Krankheit des Geistes genauso wie des Körpers ist.

Langanhaltende Genesung beinhaltet fast immer eine Vertiefung des spirituellen Lebens. Hier meine ich eine breit gefasste Vorstellung von einem "spirituellen Leben". Es muss nicht einmal einen Glauben an Gott per se beinhalten, und Du musst sicherlich nicht religiös sein, um spirituell zu sein.

Erkunde es. Wenn Du ein 12-Schritte-Programm durchführst, bist Du bereits in einem spirituellen Programm involviert. Wenn Du meditierst, ebenfalls. Ich kann dir nicht sagen, wo Du es finden kannst. Ich kenne einen Meth-Abhängigen mit über 15 Jahren Clean-Sein, der ehrlich sagt, seine Religion sei Jedi, und er schreibt dieser Höheren Macht sein Clean-Sein zu. Es funktioniert definitiv für ihn, und ich kenne niemanden, dessen Clean-Sein ich mehr respektiere als die dieses Mannes. Die Wahrheit ist, es gibt so viele Möglichkeiten, Spiritualität zu erforschen, wie es Menschen gibt.

Das Fazit: Die Hinweise deuten darauf hin, dass ein sich entwickelndes spirituelles Leben einer der mitwirkenden Faktoren bei langanhaltender Abstinenz ist.

Gib zurück - Gib weiter

Ein weiteres Kennzeichen von langjähriger Abstinenz ist die Idee, anderen Süchtigen zu helfen, die noch leiden. Die Programme von AA, NA und CMA legen besonders darauf Wert, dies als Methode zur Erhaltung von Clean-Sein zu nutzen. Nach etwa einem Jahr Abstinenz wird in der Regel von Dir erwartet, ein "persönlicher Unterstützer" für ein anderes Mitglied der Gruppe zu sein, das noch nicht so weit ist wie Du.

Aber es gibt viele Möglichkeiten, es weiterzugeben. Viele genesende Süchtige sind Spezialisten im Bereich der Sucht geworden. Das heißt, sie haben selbst angefangen etwas zu lernen oder zu studieren, um beispielsweise Suchtberater/Suchtberaterin oder sonstiger Mitarbeiter/Mitarbeiterin einer Suchthilfe zu werden. Tatsächlich sind viele Menschen, die in der Suchthilfe arbeiten, irgendwann mal selbst mit Sucht in Berührung gekommen.

Du könntest auch ehrenamtliche Arbeit für eine besonders wertvolle Wohltätigkeitsorganisation leisten. Oder, wenn Du Künstler bist, ein Werk über Sucht und Genesung schaffen.

Meine persönliche Möglichkeit, es weiterzugeben, war das Schreiben dieses Buches. Es hat buchstäblich zu meinem Genesungsprozess beigetragen.

Es gibt viele Möglichkeiten, dem Leben das Geschenk zurückzugeben, das Du erhalten hast - eine zweite Chance, das Leben in Abstinenz. Der Schlüssel liegt darin, zurückzugeben.

Kapitel 9: Umgang mit Rückfällen

Wir würden zu niemandem der Bluthochdruck oder Asthma hat sagen: „Hey, das ist Deine eigene Schuld.“ Wir wissen schließlich, dass es eine Krankheit mit biologischen Ursachen im Körper ist. Keiner müsste sich dafür schämen, dass er gerade einen akuten Asthma-Anfall hat. Und das ist der richtige Weg, wie wir denken müssen. Wenn Du eine Meth-Abhängigkeit hast, ist ein Rückfall ein akuter Schub Deiner Erkrankung, der eben auf Grund von vielen möglichen Ursachen passieren kann. Jeder Suchtmediziner weiß das und könnte Dir das erklären. Also merk Dir: Ein Rückfall ist nichts, wofür Du Dich schämen musst.

Es ist wichtig, die Sucht durch das medizinische Modell zu verstehen, damit wir die Schuld und Scham im Zusammenhang mit Rückfällen abschaffen können. Dies soll nicht Rückfälle entschuldigen oder fördern, sondern Du sollst einfach realistisch denken. Tatsache ist, dass viele genesende Meth-Süchtige im Verlauf ihrer Genesung Rückfälle erleben werden. Ich bin selbst mehrmals rückfällig geworden, bevor ich endgültig aufgehört habe. Das gehört zu vielen unserer Geschichten. Dein Ziel hier ist, diese Rückfälle auf ein Minimum zu beschränken.

In diesem Kapitel betrachten wir, was Du erwarten kannst, wenn Du rückfällig wirst, und wie Du die Dauer des Rückfalls minimieren und hoffentlich einen erneuten Rückfall vermeiden kannst.

„Hol Dir Hilfe. Befreie Dich von Schuldgefühlen. Verurteile Dich nicht selbst. Quäle Dich nicht selbst. Die Vergangenheit ist vorbei. Es ist passiert und Du musst jetzt nach vorne blicken.“

(Nolan, 9 Monate clean)

Was Du erwarten musst

Lüge Nr. 1: Ein Rückfall ist ein moralisches Versagen

Die Statistiken sind nicht schön. Eine gut publizierte Schätzung setzt die Rückfallraten auf 92% (Entzugskliniken haben eigene Statistiken zu Patienten, die erfolgreich eine Reha-Maßnahme abgeschlossen haben, und geben Rückfallraten von 10-30% an.) Die Statistik, die meiner Erfahrung entspricht, ist eine, die ich von mehreren Suchtfachleuten gehört habe: Ein Crystal Meth-Süchtiger wird im Durchschnitt zwischen 7 und 13 Mal rückfällig, bevor er schließlich aufhört.

Aber was bedeutet das alles für Dich? Zuerst einmal ist die gute Nachricht, dass das nicht alles auf Dich zutreffen muss. Die Statistiken geben einen Durchschnittswert an. Es gibt auch Betroffene, bei denen nach sehr wenigen Rückfällen langfristige Abstinenz erreicht wird. Das kann auch auf Dich zutreffen. Dieser letzte Rückfall kann Dein letzter sein.

Der Schlüssel besteht darin, 1) Deinen Rückfall so schnell wie möglich zu beenden und 2) daraus zu lernen, damit es nicht wieder passiert. Wir werden das gleich genauer betrachten. Die Wahrheit ist, sich von Crystal Meth zu erholen, ist eine lebenslange Herausforderung, und nur sehr wenige Menschen, die süchtig sind, hören beim ersten Versuch erfolgreich auf. Ich sage es noch einmal: Der Durchschnitt ist 7 bis 13 Rückfälle, bevor das Aufhören gelingt.

Für die meisten Menschen ist das Lernen, wie man von Meth fernbleibt, dasselbe wie das Erlernen einer neuen Fertigkeit - wie das Fahrradfahren. Kennst Du viele Leute, die Fahrradfahren gelernt haben, ohne ein paar Mal umzufallen? Und einige von uns sind viele Male gefallen, bevor wir die Fertigkeit endlich erlernt haben.

Ein Rückfall bedeutet kein moralisches Versagen. Er ist ein Teil der Genesung für die meisten Süchtigen. Ich habe ernsthaft versucht, aufzuhören, mehrmals in einem Zeitraum von vier Monaten, bevor ich schließlich aufgehört habe. Man könnte sagen: "Nun, Joseph hat in diesen Monaten definitiv schlechtes Urteilsvermögen gezeigt, weil er immer wieder angefangen hat." Vielleicht. Aber Crystal Meth beeinflusst das Gehirn tiefgreifend. Mein Gehirn wurde in diesen vier Monaten von einem Terroristen entführt, der nicht aufgeben wollte. In den ersten Wochen, wenn das Verlangen des Gehirns am stärksten ist, treffen wir impulsive Entscheidungen, ohne sie zu durchdenken - weil wir buchstäblich nicht darüber nachdenken können. Unsere Gehirne sind beeinträchtigt. Außerdem haben Nutzer, die Crystal geraucht oder gespritzt haben, während ihrer Genesung extrem starken Suchtdruck.

Also ja, wenn Du rückfällig wirst, ist es völlig natürlich, dass Du Dich entmutigt, sogar wütend fühlst. Aber richte diese Wut nicht gegen Dich selbst - oder andere. Richte sie gegen Deine Krankheit. Denke daran, Deine Krankheit lügt Dir über Deine Genesung etwas vor. Du hast eine der wenigen Krankheiten auf der Welt, die Dir sagt, dass Du sie nicht hast. Was uns zur nächsten Lüge führt, die Deine Krankheit möchte, dass Du sie glaubst...

Lüge Nr. 2: Mein bisheriger Fortschritt in der Genesung war umsonst

Manchmal behauptet jemand, der einen Rückfall hatte, in Verzweiflung: "Ich habe meine gesamte abstinente Zeit verloren. Ich bin wieder am Anfang. Ich muss alles von vorne beginnen."

Genau so möchte Deine Krankheit, dass Du es siehst - als einen riesigen Berg, den Du erklimmen musst, der so groß ist, dass es sich einfach nicht lohnt, es noch einmal zu versuchen.

Eine genauere Art, es zu betrachten, ist: "Ich war 20 von den letzten 21 Tagen abstinent. Im Vergleich zu jedem anderen dreiwöchigen Zeitraum, bevor ich abstinent wurde, ist das Fortschritt." Ja, Du musst Deine Abstinenzuhr zurücksetzen und ein neues Abstinenzdatum festlegen, aber Du verlierst nicht die aus Deiner vorherigen Genesungszeit gewonnenen Erkenntnisse. Ich würde wetten, dass Deine vorherige cleane Zeit (sei es einmal oder ein Dutzend Mal) Dir wahrscheinlich geholfen hat, dieses Mal schneller wieder clean zu werden. Die Zeit, in der wir abstinent waren, bleibt uns erhalten mit allen ihren positiven Gefühlen und Erfahrungen. Sie wird durch den Rückfall nicht gelöscht. Sie bleibt in uns und arbeitet von innen heraus. Deshalb ist es wichtig zu bedenken, dass, obwohl du Dein Abstinenzdatum zurücksetzt, Deine vorherige cleane Zeit zählt. Sie ist da und wird in dir zur Weisheit.

Manchmal hört man einen alten Hasen etwas sagen wie: "Ich bin seit X Jahren ununterbrochen abstinent." Wenn Du ihn fragst, warum er es so ausdrückt, wird er antworten, dass er, wenn es um die "gesamte Anzahl" der gesammelten abstinenten Jahre geht, viel mehr hat. Und er möchte diese längere Abstinenzzeit, trotz Rückfällen zwischendurch, weiterhin für sich wertschätzen. Sie ist da, nur nicht kontinuierlich.

ESchau auf die letzten Monate oder das letzte Jahr. Wenn Du in den letzten drei Monaten mehr cleane Zeit hattest als Rückfallzeit, konzentriere Dich darauf. Du bewegst Dich definitiv in die richtige Richtung. Mach Dich nicht selbst fertig.

Wie man sagt, wurde Rom nicht an einem Tag erbaut. Und ein solides Programm zur Erlangung von Abstinenz ist normalerweise auch nicht in einem Tag zu schaffen. (Jetzt, nachdem ich das gesagt habe, gibt es dies: Es gibt ein emotionales, spirituelles und physisches Wachstum, das nur mit langfristiger kontinuierlicher Abstinenz einhergeht. Das ist etwas, das Du selbst erfahren musst.)

Die Quintessenz ist: All dies soll Rückfälle weder fördern noch entschuldigen, aber Du musst lernen, Rückfälle nicht zu verteufeln. Wenn es Dir nie passiert, umso besser. Niemand freut sich mehr über Dich als ich. Aber wenn du in Gruppen von genesenden Meth-Süchtigen involviert bist, von CMA über Entzugsklinik bis zur regelmäßigen Gruppentherapie, wirst Du sehen, dass Menschen rückfällig werden. Du wirst vielleicht selbst nicht rückfällig, aber Menschen, die Dir am Herzen liegen, werden es. Also sei nachsichtig mit Dir selbst und mit Deinen Mitstreitern, die mit Dir auf dem Weg zur langfristigen Abstinenz sind. Jetzt kehre zurück in die Räume von AA oder CMA. Geh offen mit Deinem Rückfall um. Du hast nichts, wofür Du dich schämen musst. Tatsächlich bist Du in diesem Moment einer der stärksten Menschen im Raum. Ich sage es noch einmal: genesende Süchtige sind einige der stärksten Menschen, die ich kenne, und werden, wenn sie clean sind, zu Menschen von erstaunlichem Charakter. Unser Leiden macht uns so.

Lüge Nr. 3: Da ich bereits rückfällig geworden bin und meinen Abstinenzzeitpunkt zurücksetzen muss, könnte ich genauso gut noch einmal feiern

Es fängt einfach an. "Ich habe konsumiert und deshalb ist alles, was ich zuvor in meiner Abstinenz aufgebaut habe, sowieso ruiniert. Ich muss ganz von vorne anfangen (Lüge Nr. 2). Und da ich ein völliger Versager (oder eine völlige Versagerin) bin, ohne Willenskraft oder Moral (Lüge Nr. 1), könnte ich genauso gut sagen 'scheiß drauf' und feiern. Ich kann dann ja einfach erst ein paar Tage später wieder aufhören.“

Es gibt mehrere Probleme mit dieser Strategie.

• Wie weißt Du, dass dieser Rausch nur noch ein paar Tage dauern wird? Er könnte Wochen oder Monate oder Jahre dauern - bis Du entweder an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall stirbst oder Dein Auto gegen einen Baum fährst, während Du am, sagen wir, Tag 6, einnickst.

• Vergiss nicht: Du hast tatsächlich nicht die gesamte vorherige Abstinenzzeit verloren. Auf dieser Lüge baut sich nämlich die nächste Lüge auf. Deine Abstinenzzeit ist immer noch da. Es ist überhaupt nicht alles was Du Dir in Deiner Abstinenzzeit aufgebaut hast ruiniert und es gibt überhaupt keinen Grund, jetzt aus Resignation und Selbsthass einfach weiter zu konsumieren. Die erworbene Weisheit aus Deiner vorherigen Abstinenz und Deines gesamten Programmes, welche Du gerade durchmachst, bleibt erhalten. Hierauf solltest Du aufbauen und jetzt nicht auf einer Ausrede basierend weiterkonsumieren.

• Meist ist es Deine Scham oder Deine Selbststigmatisierung, die Dir nicht hilfreiche Ideen vorspiegelt, wie Du Deinen Rückfall bewerten sollst. Du könntest denken „Ich hatte einen Rückfall, ich bin schlecht, jetzt mache ich mich einfach noch schlechter. Wen interessiert’s?“ Oder Du drückst Dich einfach darum, den Rückfall als Teil Deiner Krankheit zu sehen die es zu behandeln gilt und meinst, Du müsstest einfach weiterfeiern als koste es nichts. In Wirklichkeit sind dies überhaupt nicht Deine einzigen Optionen. Du könntest zum Beispiel Deine negative Selbstbeurteilung über Bord werfen und erkennen, dass es sich um einen "akuten Ausbruch" Deiner chronischen Krankheit handelt. Dann solltest Du dich sofort wieder in Behandlung begeben (oder eine Suchtberatung aufsuchen), so wie es jemand mit einer Herzerkrankung tun würde. Die große Frage wäre dann: Angesichts dieses Rückfalls, welche Behandlungsoptionen stehen mir zur Verfügung? Wenn Du eine Therapie gemacht hast wirst Du irgendwann mal aufgeschrieben haben, was Du bei einem Rückfall tun willst. Es ist sehr hilfreich, so etwas im Vorfeld zu überlegen.

Die Quintessenz ist: Lüge Nr. 3 ist eine der heimtückischsten Lügen, weil es ihr Ziel ist, Dich weiterhin konsumieren zu lassen, ohne Hoffnung auf Aufhören. Die Wahrheit ist, Du kannst wieder aufhören, und je früher Du wieder aufhörst, desto wahrscheinlicher ist es, dass Du eben diesen Rückfall in eine mächtige Erfahrung für Dich auf Deinem Weg zur Genesung verwandelst. Die Krankheit will, dass Du weitermachst, bis Du stirbst. Sie wird jede mögliche Ausrede versuchen, um das Aufhören zu verzögern, und Schamgefühle zu erzeugen ist hierbei eine ihrer stärksten Waffen.

Herzliche Umarmungen und kalte Schultern

Du musst wissen, dass Dir einige abstinente Abhängige die „kalte Schulter“ zeigen werden. Man würde denken, dass niemand mehr Verständnis und Mitgefühl hat als ein anderer Süchtiger, oder? Es sollte so sein und es ist oft auch so. Es gibt viele herzliche Umarmungen, wenn Du von deiner "Feldforschung" zurückkehrst, wie ein Rückfall manchmal in den Räumen von CMA genannt wird.

Aber die Wahrheit ist, wenn Menschen negativ auf Deinen Rückfall reagieren, haben sie einfach Sorge um sich selbst und handeln aus Angst. Vielleicht haben sie Dich zu hoch auf ein Podest gestellt. Oder jemand hat ihnen einmal geraten, sich nur mit Gewinnern zu umgeben. Und sie haben nicht die breitere Perspektive, zu sehen, dass Du durch Deine Rückkehr zur Abstinenz nach Deinem Ausrutscher oder Rückfall tatsächlich ein außergewöhnlicher Gewinner bist. Es ist ihr Verlust. Vergib ihnen, dann konzentriere Dich auf Deine eigene Genesung.

Es gibt mindestens zwei wichtige Lektionen, die Du lernen kannst, wenn Dir jemand die „kalte Schulter“ zeigst. Die erste Lektion ist: Ich schaffe es, auf die Angst einer anderen Person mit Mitgefühl zu reagieren. Tatsächlich braucht die Person, die Dir die kalte Schulter zeigt, jetzt Dein Mitgefühl und Deine liebevolle Zuwendung mehr als Du die Ihre. Diese Menschen verschließen die Augen vor der Möglichkeit von Rückfällen, die Teil des Genesungsprozesses sein können und die sie selbst lieber nicht sehen würden. Dies ist kein solides Genesungsverhalten, sondern altes Suchtverhalten. Du weißt schon, das Leben ignorieren und so tun, als wäre es nicht da. Die zweite Lektion die Du durch eine „kalte Schulter“ lernen kannst ist: Du wirst mehr Mitgefühl und Verständnis für andere haben, die in der Zukunft mit Rückfällen kämpfen. Weil Du den Schmerz einer „kalten Schulter“ gespürt hast, wirst Du das nächste Mal, wenn jemand aus Deinem Umfeld rückfällig wird, eine warme Umarmung anbieten und Dein Herz für sie öffnen. Öffne Deine Augen. Öffne Dein Herz. Für Dich selbst und für alle anderen, die mit Rückfällen kämpfen.

7 bis 13 Mal – die durchschnittliche Anzahl beim Crystal Meth Entzug. Ich hoffe, Du bist überdurchschnittlich. Es gibt keinen Grund, warum Du es nicht sein könntest, schon früher abstinent zu bleiben. Aber wenn Du nicht überdurchschnittlich bist, mach Dich nicht selbst fertig. Und wenn Dir jemand die „kalte Schulter“ zeigt, denke daran: Du bist überhaupt nicht schlecht oder falsch. Was wirklich schlecht und falsch ist, sind die Gedanken in den Köpfen der anderen Menschen, die sie so handeln lassen. Es ist Angst bei ihnen, die dahinter steckt. Es ist deren Problem, nicht Deines.

Was Du tun kannst

Kehre sofort in die Abstinenz zurück

Je schneller Du in Deine Abstinenz zurückkehrst, desto besser sind die Chancen, dass Du diesen Rückfall erfolgreich überstehst und aufhörst. Oft beginnen wir einen Rückfall, indem wir der Lieblingslüge unserer Sucht zuhören: "Es ist nur für eine Nacht. Was kann das schon schaden?" Ich weiß nicht, wie es bei Dir ist, aber ich habe nicht viele Meth-Konsumenten getroffen, die erfolgreich einen "One-Night-Stand" mit Crystal Meth hatten. (Für mich waren es am Ende fünf Nächte. Jedes Mal.)

Eine weitere große Lüge deiner Sucht: "Du bist bereits einmal rückfällig geworden, also könntest Du genauso gut einen weiteren Lauf machen. Du musst so oder so ein neues Abstinenzdatum festlegen. Was sind schon ein paar weitere Tage?" Aber jetzt weißt Du: Es sind nie nur ein paar Tage. Es wird immer wieder unkontrolliert sein. Belüg Dich nicht selbst. Kehre so schnell wie möglich in die Abstinenz zurück. Höre nicht auf Deine Sucht. Denke daran, sie will Dich letztendlich töten.

Verweile nicht in Scham und Schuld

Kleinkinder fallen viele Male, bevor sie lernen, aufrecht zu gehen. Aber wenn sie es nicht immer wieder versuchen hinfallen würden, würden sie es nie lernen für immer krabbeln. Verweile nicht in Scham und Schuld. Letztendlich ist übermäßige Schuld nur ein Ego-Trip. Es ist nicht das Ende der Welt, solange Du wieder in die Abstinenz gehst. Und das ist das Wichtigste und Einzige, was Du jetzt tun musst.

Versuche aus diesem Rückfall zu lernen, damit er nicht wieder passiert

Hallo? Wann hat dieser Rückfall wirklich begonnen? Hier ist ein Hinweis: Der Rückfall begann lange bevor Du zur Pfeife, zum Ziehröhrchen oder zur Spritze gegriffen hast. Es könnte begonnen haben, als Du mit alten Auslösern geflirtet hast - bestimmten Personen, Orten oder Dingen. Oder vielleicht hast Du angefangen, Meetings zu verpassen. Dann hast Du angefangen, den Lügen zuzuhören, die Deine Sucht Dir eingeflüstert hat. Du hast den Konsum romantisiert und das Verlangen hat Dich dann schnell überwältigt. All dies geschah, bevor Du selbst den Stoff in die Hand genommen hast.

Untersuche sorgfältig, wie es zu diesem Rückfall gekommen ist, damit Du ihn nicht unwissentlich wiederholst.